Wenn der Gastronom Schutzgeld zahlen muß

Der Pizzabäcker wird von der Mafia erpreßt, der türkische Restaurantbetreiber von der PKK – so lautet ein gängiges Vorurteil über ausländische Gastronomen. Eine kriminologische Befragung hält mit Zahlen dagegen  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Daß ein Kriminologe vor 200 Gastwirten im hannoverschen Opernhaus einen Vortrag hält, ist keineswegs die Regel. Doch Christian Pfeiffer, Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, berichtete kürzlich über eine Studie, die sich ganz und gar den Wirten, genauer den „Gastronomen“, widmet. Unter dem Titel „Deutsche und ausländische Gastronomen in Konfrontation mit Schutzgelderpressung und Korruption“ veröffentlichte das Institut jetzt die Ergebnisse einer bundesweiten Befragung von 7.900 Inhabern von Restaurants, Kneipen, Bars oder auch Imbißhallen. Die Befragung setzt erstmals den Mutmaßungen über eine allgegenwärtige Schutzgeldmafia zumindest halbwegs gesicherte Erkenntnisse entgegen.

In der Gastronomie sind die Schutzgelderpressung und die Korruption, das Schmieren von Beamten, etwa gleich weit verbreitet, lautet der wichtigste Befund der Studie. Mit beiden Delikten haben je nach ethnischer Herkunft zwischen 10 und gut 20 Prozent der Gastronomen bereits Erfahrungen gemacht. Die in den Medien kursierende Behauptung, daß in den Großstädten beinahe alle Wirte ausländischer Herkunft mit Schutzgelderpressungen zu kämpfen hätten, hält das Kriminologenteam um Christian Pfeiffer durch die Studie für widerlegt.

Der Verbreitung von Erpressung und Korruption ist die Forschungsgruppe auf mehreren Wegen nachgegangen. Aus 3.500 anonymisierten Fragebögen konnte sie zunächst eigene Erfahrungen der Wirte mit den Delikten ermitteln: 5 Prozent der deutschen und 7 Prozent der Gastwirte ausländischer Herkunft schilderten in Fragebögen glaubhaft, schon einmal Opfer einer Erpressung oder eines Erpressungsversuchs geworden zu sein. Etwas weniger häufig als die deutschen in Ost und West waren dabei die griechischen Gastronomiebetriebe mit 4 Prozent zum Ziel von Erpressern geworden. Etwas öfter wurden mit gut 6 Prozent die italienischen Betriebe und erheblich öfter die türkischen mit beinahe 13 Prozent erpreßt.

Da die Forscher bei dem heiklen Thema der Repräsentativität des Rücklaufs der Fragebögen nicht trauten, hatten Wirte außerdem in 4.400 Telefoninterviews über ihnen bekannte Erpressungsfälle bei Berufskollegen zu berichten und eine Schätzung über die allgemeine Verbreitung von Schutzgelderpressung abzugeben. Schließlich wurden auch zahlreiche persönliche Gespräche mit Opfern von Schutzgelderpressung geführt. Auch in den telefonischen Befragungen, deren Ergebnisse das Kriminologenteam für repräsentativer hält, waren die Unterschiede zwischen deutschen und eingewanderten Gastronomen, zwischen Großstädten und dem platten Land weit geringer als zuvor vermutet.

Die telefonisch erhobenen Betroffenheitsraten für Erpressung lagen bei italienischen Betrieben und auch beim urdeutschen Wirt West wie Ost im Schnitt um 13 Prozent. Dabei spielte auch der Wohnort nicht die entscheidende Rolle: In den Großstädten lagen die ermittelten Erpressungsraten nur einige Prozentpunkte höher als auf dem Land oder in kleineren Städten. Geringere Erpressungsraten nannten wiederum mit 9 Prozent die Gastronomen griechischer Herkunft.

Aus dem Rahmen fiel jedoch der bei türkischen und kurdischen Wirten ermittelte Wert von 27 Prozent. Diese waren in der gesamten Untersuchung auch die einzigen, die im relevanten Umfang von Spendengelderpressungen durch Gruppen oder Organisationen berichteten. In etwa 40 Prozent der Erpressungsfälle ging es bei den türkischen oder kurdischen Gastronomen um Spendengelder.

Angesichts dieser Befunde spricht Christian Pfeiffer von einer unzulässigen Dramatisierung der Schutzgelderpressung durch die Medien, zu einer generellen Entwarnung sieht er aber auch keinen Anlaß. Zwar folgt keineswegs jedem Erpressungsversuch eine Zahlung. Nur jeder zweite Wirt will die Forderungen der Erpresser erfüllt haben, die in der Regel mit Gewalt gegen das Lokal, gegen Angestellte, Familienangehörige oder den Inhaber selbst drohen. Allerdings reagierten weniger als 20 Prozent der Erpreßten mit einer Anzeige bei der Polizei, ein Drittel warf den Erpresser erst einmal raus, ein Fünftel besorgte sich eine Waffe, viele suchten bei Freunden und Bekannten Hilfe. Wenn dann gezahlt wurde, war der Schaden für die Wirte oft beträchtlich: Bei mehr als der Hälfte der geschilderten Fälle ging es um Zahlungen von mehr als 10.000 Mark.

In den Telefoninterviews zeigte sich auch, daß Korruption keineswegs weniger verbreitet ist als Erpressung – allerdings ist sie nicht so teuer. In der Fragebogenaktion bezichtigten sich je nach Herkunft noch zwischen 3 und 6 Prozent der Gastronomen glaubhaft, selbst schon mal einen Aufsichtsbeamten oder Polizisten bestochen zu haben. Die später in den Telefoninterviews erhobenen Verbreitungsraten für die Korruption lagen dann jedoch bei allen Gruppen zwischen 15 und 20 Prozent. Am häufigsten wurden Beamte der für die Gewerbeanmeldung und -aufsicht zuständigen Behörden geschmiert, dann folgten Mitarbeiter von Baubehörden, Polizisten, Finanzbeamte und Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Bei den beiden letzteren halfen häufiger türkische und griechische Gastronomen mit Geld oder auch Naturalien nach. Bei der Baubehörde waren im Mittel 5.000 Mark fällig, bei der Ausländerbehörde 2.500 Mark, bei der Gewerbeanmeldung oder -aufsicht etwa ein Tausender, und die Polizei drückte im Schnitt schon für 550 Mark beide Augen zu. Weniger als 10 Prozent aller direkt geschilderten Korruptionsfälle betrafen mehr als 10.000 Mark.

Höher als bei der Schutzgelderpressung ist für Christian Pfeiffer allerdings der ideelle Schaden durch Korruption. Sie vor allem zerstöre das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen. Zwischen beiden Delikten sieht der hannoversche Kriminologe durchaus Zusammenhänge. Opfer von Erpressung werden in der Regel solche Gastronomen, die selbst Dreck am Stecken haben, die etwa Arbeitskräfte schwarz beschäftigen, Drogenhandel oder illegales Glücksspiel duldeten. Zuweilen sind die Erpreßten auch wirtschaftlich von den Tätern abhängig, haben sich etwa von ihren späteren Erpressern die Kneipeneinrichtung finanzieren lassen.

„Selbst sauber bleiben ist der beste Schutz vor Erpressung“ – diesen Rat gab Christian Pfeiffer denn auch den 200 im hannoverschen Opernhaus anwesenden Gastronomen mit auf den Weg. Dort wurde aber auch deutlich, wie hilflos Gastwirte einer erpresserischen Drohung mit Gewalt oft gegenüberstehen. Strafanzeige wollte niemand im Falle eines Falles erstatten.

„Bei einer Strafanzeige wird dem Erpresser immer noch über die Strafakten die Identität des Anzeigeerstatters bekannt“, sagt Christian Pfeiffer.

Selbst wenn Vertraulichkeit zugesagt werde, bleibe immer noch der betroffene Betrieb als Tatort, über den der Erpresser nach Einsicht in seine Akte dann auf den Namen des Anzeigeerstatters schließen könne. Pfeiffer verlangt deswegen eine Gesetzesänderung: „Die Polizei muß den Hinweis auf Schutzgelderpressung entgegennehmen und sich dem Erpresser an die Fersen heften, ihm andere Taten nachweisen.“ Einer solchen Praxis, bei dem der Fall des ersten Tipgebers auf keinen Fall mehr zur Verhandlung kommt, steht bisher jedoch die Pflicht zur Verfolgung jeder angezeigten Straftat entgegen.