: Anklage spricht Safwan Eid frei
Im Lübecker Brandprozeß plädiert die Staatsanwaltschaft im Zweifel für den Angeklagten. Indizien reichten nicht für Verurteilung. Verteidigung Eids spricht von „Kapitulation“ ■ Aus Lübeck Jan Feddersen
Dreieinhalb Stunden nahmen sich die Staatsanwälte Michael Böckenhauer und Axel Bieler gestern Zeit, ehe sie am Ende ihrer Beweiswürdigung im Lübecker Brandprozeß angelangt waren. Dann sprach Böckenhauer – die, wie er selbst in Richtung Verteidigung ironisch anmerkte, „Inkarnation des Bösen“ – das aus, was alle von ihm erwartet hatten: „Deshalb schlagen wir vor, den Angeklagten freizusprechen.“
Als er dies sagte und darüber hinaus anfügte, keine weiteren „Ausführungen“ zu einer möglichen Haftentschädigung zu machen, huschte nicht einmal der Anflug eines Lächelns über das Gesicht des Angeklagten Safwan Eid: Der libanesische Asylbewerber war bis dahin der besonders schweren Brandstiftung und der fahrlässigen Körperverletzung angeklagt. Diese Vorwürfe nahmen Böckenhauer und Bieler gestern „in dubio pro reo“, also im Zweifel für den Angeklagten, zurück. Dabei ließ es sich die Staatsanwaltschaft nicht nehmen, nochmals die drei Hauptsäulen ihrer Anklageschrift zu erläutern. Böckenhauer insbesondere wies darauf hin, daß sein Hauptbelastungszeuge Jens Leonhardt – der als Sanitäter in einem Rettungsbus von Eid die Worte „Wir war'n's“ gehört haben will – keineswegs „ein verkappter Nazi“ sei, der allein schon wegen seiner Freizeitbeschäftigungen (paramilitärische Spiele) an Glaubwürdigkeit verliere. Ihn halte die Staatsanwaltschaft nach wie vor für glaubwürdig, läßt aber den Zweifel zu, daß der Zeuge sich verhört haben könnte.
Jedenfalls sei „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nichts genau prozessual zu fixieren. Zweifel blieben eben bei allen entscheidenden Punkten übrig. Wie auch in der Frage der Brandsachverständigen, deren Brandortanalysen zwar ergaben, daß das Feuer im ersten Stock des Flüchtlingsheims ausgebrochen sein müßte und ein Anschlag auf das Haus von außen unwahrscheinlich sei. Aber trotzdem hätten diese Experten sich nicht darauf einigen können, wie das Feuer ausgebrochen sei.
Vor allem aber, darauf wies Böckenhauer hin, sei es die Nichtzulassung der Abhörprotokolle, die seine Behörde im vorigen Jahr von einem Gespräch mit dem Untersuchungshäftling Safwan Eid und seinem Bruder hat anfertigen lassen, die die Anklage zum Einsturz brachte. Wie berichtet, hatte das Gericht diese Mitschriften nicht als Beweismittel gelten lassen, weil es sich dabei um einen Akt der Einmischung in die Privatsphäre des Angeklagten gehandelt habe. Böckenhauer resümierte, es gebe nach wie vor viele Belastungsmomente gegen den Angeklagten, aber nichts, was eine Verurteilung rechtfertigen könnte. Objektivierbare Beweise während des Prozesses mit seinen über 100 Zeugen und Sachverständigen seien nicht herausgefiltert worden. Böckenhauer beharrte dennoch darauf, von „zwei Wahrheiten“ zu sprechen: von der über das wahre Geschehen in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar 1996 in der Lübecker Hafenstraße, aber auch von der, die im Strafverfahren erörtert wurde – und nur die zähle. Verteidigerin Gabriele Heinicke aus Hamburg sprach hingegen von der Bilanz einer „Kapitulation“. Als sie Böckenhauer befragte, ob er sein Plädoyer als Eingeständnis einer Niederlage empfinde, lautete dessen Antwort knapp: „Nein.“
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