: Spurensuche in Bern
taz-Serie: Stadtführungen (Teil2). Die Tour „Bern kriminell“ ■ Von Hansruedi Hitz
Schüsse knallen. Tödlich getroffen liegt ein Kind am Boden. Noch vor einer Minute war es an diesem föhnig-warmen Maisonntagnachmittag im Hof des gehobenen Stadtberner Wohngevierts zugegangen wie im hölzigen Himmel. Kinder rasten hin und her und kreischten vor Vergnügen. Jetzt herrscht Totenstille. Diese Szene stammt aus dem Krimi „Bellevue“ von Alexander Heimann, einem Berner Krimiautor.
Zwei Dutzend Leute stehen am Tatort um einen Sandkasten. Dominique Strebel von „StattLand“ gibt einige Informationen zur Entstehung des Quartiers in den 30er Jahren. Plötzlich wirbelt eine junge Anwohnerin durch die Gruppe und schreit halb hysterisch: „So idyllisch ist es hier nun auch wieder nicht. Vor kurzem ist hier am hellheiteren Nachmittag ein Kind ermordet worden!“ Unser Stadtführer entschuldigt sich für die Störung. Doch bald wird klar, daß die junge Frau eine von „StattLand“ engagierte Schauspielerin ist. Sie rezitiert eine Passage aus Heimanns Krimi: Polizeikommissär Ramseier „blickte noch einmal zu den Fassaden, zu den Balkonen, zu den Fenstern hinauf. Am liebsten hätte er die Faust geschüttelt. Für ihn waren sie alle schuldig, denn ein solches Verbrechen, dünkte ihn, konnte nur geschehen in einer Umgebung, die von Haß und Mißgunst vergiftet war.“
Heimann, der selber in diesem Häusergeviert wohnt und in einer Mansarde seine Krimis schreibt, interessiert sich für den Übergang von der Normalität zur Kriminalität. In diesem Klima kleinbürgerlicher Enge und nachbarlicher Bespitzelung hätte er, so der O-Ton ab Tonband, selbst der Mörder in seinem Krimi sein können als frustrierter Schriftsteller, der vom Kindergeschrei am Schreiben gehindert wird.
Von der nächsten Station dieses kriminellen Stadtrundgangs, vom Rosengarten aus, präsentiert sich Bern von seiner besten Seite. PolitikerInnen lassen sich für ihre Wahlpropaganda mit Vorliebe hier vor dieser Postkartenkulisse mit den Alpen im Hintergrund ablichten. Doch die Bilderbuchansicht trügt. Friedrich Dürrenmatt, der einmal die Schweiz mit einem Gefängnis verglichen hat, in dem die BewohnerInnen zugleich Gefangene und Wärter sind, schrieb in „Der Richter und sein Henker“, dem wohl bekanntesten Schweizer Literaturkrimi: „Nun sind wir beide am Ende unserer Laufbahn. Du bist in Dein Bern zurückgekehrt, halb gescheitert, in diese verschlafene, biedere Stadt, von der man nie weiß, wieviel Totes und wieviel Lebendiges noch an ihr ist.“
Nach dieser Bern-Beschimpfung führt uns der Rundgang am Bärengraben vorbei über die Aare in die Altstadt. Unterwegs treffen wir wieder die Schauspielerin Caroline Erb, diesmal als Blick-Verkäuferin ausstaffiert (Blick ist das Schweizer Pendant zu Bild): „Mord in der Altstadt! Blick war dabei! Eine Prominenz weniger!“ In den Fußstapfen von Friedrich Glausers Wachtmeister Studer erforschen wir mit Kerzen ein enges Treppenhaus. „Du hast die Wohnung in der Gerechtigkeitsgasse nicht gesehen“, schildert Studer eines Nachts seiner Frau den Tatort, „das alte Haus, in dessen Mauern der Schimmel hockt. Und der Schimmel vergiftet die Seelen der beiden.“ In dieser etwas morbiden Szenerie stirbt Sophie Hornuss an einer Gasvergiftung: „Es war ein ganz bestimmter Geruch, den Studer kannte, er kannte ihn aus den winzigen Wohnungen an der Metzgergasse, wo es hin und wieder einer alten Frau zu langweilig wurde oder zu einsam und sie dann den Gashahn aufdrehte.“ Schon bald stellt Wachtmeister Studer aber fest, daß es sich in diesem Fall („Die Fieberkurve“) um einen Mord handelt. Glauser war bestens mit dem Haus vertraut, seine damalige Freundin betrieb im Parterre eine Tanzschule und mußte auch als Vorbild für eine Krimifigur herhalten.
Der Tiefblick von der 50 Meter hohen Mauer der Münsterplattform auf das Mattequartier und die Aare, die fast in jedem Berner Krimi vorkommt, bringen einen in die richtigen Stimmung für ein Zitat aus Peter Zeindlers Krimi „Der Zirkel“: „Hatte es nicht auch letztes Mal mit einem Toten am Wasser begonnen? Sembritzki beugte sich aus dem Fenster, er lauschte dem Rauschen der Aare und spürte, wie es ihn gleichsam in diesen unsichtbaren Strudel hinunterzog, fühlte die unerklärliche Anziehungskraft, den Sog des Stromes, der ihn immer wieder in tiefe, bewußt gesuchte Melancholie stürzte, in der er dann tagelang verharrte und aus der er nur unter unsäglichen Anstrengungen wieder herausfand.“
Der deutsche Agent Konrad Sembritzki, der sich im friedlichen Mattequartier als Antiquar betätigt, wird durch einen Mord an der Aare von seiner Vergangenheit eingeholt. Das ideale Klima für seine Intrigen findet er im mondänen Hotel Bellevue, wo DiplomatInnen und ParlamentarierInnen zu logieren pflegen. Im Entrée erzählt der „StattLand“-Führer in gedämpftem Ton von Politkrimis, Spionagethrillern und Wirtschaftsverbrechen, die sich hier in der Literatur, bisweilen aber auch ganz real abgespielt haben.
Der Rundgang durchs kriminelle Bern endet auf dem Bundeshausplatz mit einem letzten Tondokument zum Thema Realität und Fiktion: Fritz von Wartburg, bis vor kurzem Leiter des Dezernats „Leib und Leben“ der Berner Kantonspolizei, meint, daß im heutigen Polizeialltag Teamarbeit gefragt sei und Einzelkämpfer vom Typ Wachtmeister Studer oder Kommissär Bärlach keine Chance mehr hätten. Doch bei Zeugenbefragungen sei ihr väterlicher, vertrauenerweckender Charakter immer noch gefragt. Und: „Ein Fahnder, der nicht ein bißchen ein Schlitzohr ist, ist kein guter Fahnder.“ Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt, daß zwar rund drei Viertel der Schweizer Kriminalromane in Bern spielen, Bern aber nicht Hauptstadt des realen Verbrechens ist.
Kontaktadresse:
StattLand, Laden für Rundgänge und Ausflüge. Postfach 8353, 3001 Bern. Telefon: (0041-31) 311 90 77, Fax: (0041-31) 311 77 94
Kosten der Stadtführung:
20 SFr. für Verdienende; 15 für Nichtverdienende
Literaturliste:
Friedrich Dürrenmatt: „Der Richter und sein Henker“ (1950). Diogenes-Taschenbuch 20849
Friedrich Glauser: „Die Fieberkurve“ (1935). Paperback im Verlag oder neue Originalausgabe im Limmat-Verlag
Alexander Heimann: „Bellevue“ (1984). Erpf-Taschenbuch
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