: Eine Art Familientreffen Von Klaudia Brunst
Natürlich hatte ich alles völlig vergessen. Zumal es die Zeit vor meiner Freundin war. „Weißt du noch? Damals haben wir nicht mal bei vierzig Grad im Schatten unsere Stiefel ausgezogen“, frischte Beate mein Gedächtnis auf. „Und die beste Party war deine Abschiedsfete, als du im Herbst 1985 nach Berlin gegangen bist.“ – „Stimmt!“ dämmerte es mir nun auch. „Das war auf deinem Dachgarten...“ – „Genau!“ triumphierte Beate. „Die coolste Party überhaupt. Weil es da schon so lausig kalt war, daß man getrost seine Lederjacke anbehalten konnte.“
Beate war umgezogen und hatte dabei ein paar Fotos von unserer Clique gefunden. „Irgendwie war es doch auch eine tolle Zeit“, fand sie. „Etwas anstrengend, aber auch schön.“ Und deshalb wollte sie ein 80er-Revivaltreffen machen. Den anderen vier habe sie schon Bescheid gegeben. Natürlich sagte ich zu. „Für einen Abend fährst du schlappe 600 Kilometer nach Köln?“ fragte meine Freundin ungläubig.
Ich nutzte die Woche bis zu meinem Abflug, um mich innerlich auf diese Zeitreise vorzubereiten. Sehr zum Leidwesen unserer Nachbarin fand ich tatsächlich eine alte Kassette mit den Hits des Jahres 1984, die ich aber nur unter dem Zugeständnis hören durfte, „Irresistible“ von Stephanie von Monaco immer zu überspulen.
„Wer kommt denn so alles zu eurem Familientreffen?“ fragte meine Nachbarin interessiert. „Also zuerst natürlich Beate, die damals im ,Dschungel‘ gekellnert hat“, begann ich, „dann Maggie, die war übrigens schon mal hier, und Anita, damals ihre große Liebe, und dann natürlich...“ – Ich machte eine Kunstpause, um dem nun folgenden Namen die entsprechende Würde zu verleihen: „Die schöne Marlies!“ – „Marlies?“ horchte da meine stets wachsame Freundin auf. „Müßte man die kennen?“ „Marlies war seinerzeit im Sub unser großer Schwarm“, erklärte ich den beiden, während ich in meiner Fotokiste verzweifelt nach einem Foto suchte, auf dem Marlies zu sehen war. „Marlies war schon viel älter als wir, versteht ihr? Sie arbeitete sogar schon.“ – „Ach!“ machten meine Zuhörerinnen wenig beeindruckt. „Und nach der Arbeit kam sie immer in den ,Dschungel‘“, ließ ich mich nicht beirren. „Ach was! Sie schwebte in den Sub! Völlig unnahbar stand sie den ganzen Abend an der Bar und ließ sich von uns bewundern.“ – „Und niemand hat sie angesprochen?“ fragte meine Nachbarin voller Mitgefühl. „Das hätten wir niemals gewagt“, gab ich entrüstet zurück. „Nur Beate durfte mit ihr reden. Weil sie doch für die Getränke zuständig war.“
„Warum kommt diese Marlies denn dann zu eurem Treffen, wo ihr doch nie mit ihr geredet habt?“ erkundigte sich meine immer noch mißtrauische Freundin. „Marlies gehört unbedingt dazu“, versuchte ich es noch einmal. „Sie war damals unser absolutes Vorbild, wie man als Lesbe würdig altern konnte. Daß sie in ihrem fortgeschrittenen Alter noch in den ,Dschungel‘ ging, fanden wir damals total souverän.“ – „Mein Gott, wie alt war die Ärmste denn?“ – „Weiß nicht. Jedenfalls viel älter als wir“, meinte ich, während ich in der Kiste endlich einen Hinweis auf Marlies fand. Es war ein Flyer aus dem „Dschungel“. Für eine Happy-Birthday- Party am 9.4. 1984. Zu Ehren der schönen Marlies. Es war ihr dreißigster Geburtstag gewesen.
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