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Das Lesbisch-schwule Pressearchiv in Berlin sammelt seit 25 Jahren Medienberichte über Schwule und Lesben. Auch besonders diskriminierende und dämliche

Der Spiegel schaffte es bereits im Jahre 1973, die Frankfurter Allgemeine Zeitung brauchte immerhin bis 1990 (in einem wüsten Kommentar über den Mord an Walter Sedlmayr), frank und frei und ganz ohne Anführungszeichen das Wörtchen „schwul“ zu drucken. Gleich, ob im Spiegel oder in Brigitte, ob in der FAZ oder dem Schwarzwälder Boten, ob „schwul“, „homophil“ oder „gleichgeschlechtlich veranlagt“: Was in der bundesdeutschen Presse seit 1972 gedruckt wird und sich mit Homosexualität beschäftigt – sei es nur in einem Nebensatz –, es findet sich alles gesammelt in einem kleinen Keller in Berlin- Kreuzberg. Fein säuberlich ausgeschnippelt, datiert, katalogisiert und archiviert.

Jeden Monat trudeln zwischen 500 und 1.000 neue Zeitungs- und Zeitschriftenausschnitte ein: über schwule Kultur und lesbische Tennisspielerinnen, Homosexuelle als Heiratswillige und als Mordopfer, über Prominente in den Klatschspalten. Was hier zwei lesbische und sechs schwule Studenten ehrenamtlich und inmitten maroder, aber aus Geldmangel noch nicht erneuerter Büroausstattung sortieren und aufbereiten, ist das wahrscheinlich umfangreichste Archiv dieser Art im deutschsprachigen Raum. Genutzt wird es vor allem von Journalisten sowie Studentinnen und Wissenschaftlern für Seminararbeiten wie Dissertationen.

Fast zeitgleich zum hundertjährigen Jubiläum der Schwulenbewegung feiert nun das Lesbisch- schwule Pressearchiv seinen 25. Geburtstag und dürfte damit auch eines der ältesten noch existierenden homosexuellen Projekte in Deutschland sein.

Als 1969 nach der Reform des Anti-Schwulen-Paragraphen 175 die Schwulen in Deutschland in (politische) Aufbruchstimmung gerieten, gründete sich 1971 die Homosexuelle Aktion Westberlin. Schon im Jahr darauf beauftragte man einen professionellen Ausschnittdienst damit, die deutsche Heteropresse nach Artikeln zum Thema Homosexualität zu durchforsten.

An Archivierung und wissenschaftliche Aufarbeitung dachte damals noch niemand, sondern das Material diente als Diskussionsgrundlage, verschaffte einen Blick darauf, wie denn die Gesellschaft die Schwulen und Lesben wahrnimmt, und mit Leserbriefen reagierte man hin und wieder auf einzelne Beiträge.

Aber erst Anfang der achtziger Jahre, nunmehr von der ehemals konkurrierenden Allgemeinen Homosexuellen Aktion (die Linke hat sich schon immer gerne gestritten und gespalten), wurden die gesammelten Ausschnitte nach einer mehrgliedrigen Notation sortiert und somit für jedermann und -frau nutzbar und zugänglich gemacht. Daß man damals Stichworte wie „Antifaschistische Bewegung“, „Gewerkschaften“, „Friedens- und Alternativbewegung“ und „Männer- und Frauenbewegung“ ganz nach vorne rückte, wirft ein deutliches Licht darauf, wo sich der selbstbewußte politische Schwule einordnete: in die neue Linke. Über das, was man selbst politisch bewegen wollte, über die Aktionen, Demonstrationen, die Forderungen der Schwulenbewegung fand sich allerdings auch schon in den 70er und 80er Jahren wenig in den Zeitungen.

Wenn man von Mediencoups wie der „Aktion Standesamt“ zur Homoehe 1992 einmal absieht, finden sich Presseerklärungen selbst zu wichtigen schwulen- und lesbenpolitischen Ereignissen bisweilen nur in zwei, drei Medien wieder. „Kuriose Meldungen jedoch, ob ein Hotel für Schwule in der Schweiz oder ein Boy George, der wegen angeblicher Verleumdung eines Ex-Liebhabers verklagt wird, werden gleich dutzendfach und recht großzügig auf den bunten Seiten gemeldet“, weiß Harald Rimmele, Mitarbeiter des Archivs, zu berichten.

Gab es bis in die Mitte der 80er Jahre hinein besonders viele homophobe bis dreist-spektakuläre Schlagzeilen – der Bild gelang zum Sedlmayr-Mord noch einmal ein Glanzstück: „Der Tod kam von hinten“ – so ist die Aufmerksamkeit und auch die Toleranz der Journalisten ausgerechnet durch Aids gewachsen.

Das Interesse an den Schwulen wuchs, und mit der Vielzahl der Beiträge verschwanden auch merklich die Vorurteile und die Voreingenommenheit. Daß diese jedoch keineswegs gänzlich verschwunden sind, beweist die Tatsache, daß der kürzlich in Berlin gegründete „Bundesverband lesbischer und schwuler JournalistInnen e.V.“ bereits in der kurzen Zeit seines Bestehens auf mehrere, besonders heftig diskriminierende Artikel hingewiesen worden ist. Unter der Rubrik „Dummheit des Monats“ sind diese besonders dämlichen Texte auch allmonatlich in der Lesbisch-schwulen Presseschau nachzulesen. In dieser Zeitschrift, die vornehmlich wieder von Jornalisten bzw. Wissenschaftlerinnen und lesbischen bzw. schwulen Gruppen bezogen wird, stellen die Mitarbeiterinnen des Archivs jeweils eine Auswahl der erschienenen Texte nach Themenbereichen von Politik über Kirche bis Gesellschaft und Kultur zusammen. Wer also TV Klar nicht ohnehin abonniert hat, erfährt dank Lesbisch-schwuler Presseschau, daß Patrick Duffy nur deshalb eine Filmrolle als Homosexueller abgelehnt hat, weil er „allergisch gegen Körperkontakte mit Männern“ ist. Axel Schock

Lesbisch-schwules Pressearchiv, Mehringdamm 91, 10961 Berlin, Tel. (030) 69 40 17 23. Die „Lesbisch-schwule Presseschau“ kostet 5,80 DM und ist in ausgewählten (schwulen) Buchhandlungen oder direkt beim Archiv erhältlich. Dort wird am Samstag, 7. Juni, von 14 bis 18 Uhr das Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür gefeiert.

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