■ Multikulti-Presse: Werbung statt Leser
Ein bißchen rätselhaft ist es schon. Da gründet ein findiger Geschäftsmann eine türkische Zeitschrift, produziert ein paar Nummern und geht pleite. Schon stehen zwei neue bereit, übernehmen das Konzept, stellen auf Farbe um, verbessern die Qualität und gehen ebenfalls pleite. Schon folgt der nächste Versuch, fast gleichzeitig der übernächste, jeder ein bißchen besser und jeder offensichtlich zum Scheitern verurteilt. Seit zwei Jahren tobt in der türkischen Geschäftswelt Berlins dieser Geisterkrieg, bei dem es vor allem um Anzeigenkunden geht. Den Anfang machte die kleine Gazete, eine zweiwöchentlich erscheinende, kostenlose Postille auf billigem Zeitungspapier, zwischen kommerzieller Stadtteilpostille und Wurfsendung. Anfang 1996 folgten dann gleichzeitig zwei Farbillustrierte, Berlinçe und Magazin. Während die etwas dilettantische Gestaltung von Berlinçe kaum zu übersehen war, lag zumindest die Druckqualität von Magazin bereits auf dem Niveau internationaler Fotomagazine. Inhaltlich allerdings boten beide wenig: ein paar unverfängliche Artikel über Türken in Deutschland, Klatsch und Tratsch über türkische Lokalprominenz und Geschäftsleute – vornehmlich solche, die Anzeigen geschaltet hatten – und schließlich das Neueste aus der Popmüzik-Szene. Vor allem aber ganzseitige Farbanzeigen in atemberaubender Fülle. Während die Zeitungsmacher in der Akquisition also äußerst erfolgreich waren, schienen sie den Vertrieb eher stiefmütterlich zu behandeln. So huschten die neuen Zeitschriften weitgehend unbemerkt durch die Berliner Zeitungslandschaft, der eine türkische Kiosk in Kreuzberg führte gelegentlich Magazin, der nächste Berlinçe, der dritte zaubert Aktüel aus dem Regal, und der vierte hat von allen dreien noch nie gehört. Nach ein paar unregelmäßigen Ausgaben sind alle genauso mysteriös verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Schon zirkulieren die neuesten Versuche: Paparazzi sowie, erstmals nach fast zwei Jahren auch wieder in Berlin zu finden, die norddeutsche Vitrin, in nochmals verbesserter Druckqualität, mit noch mehr ganzseitigen Farbanzeigen. Martin Greve
„Vitrin“, Altonaer Str. 1, 20357 Hamburg, Tel.: (040) 430 28 88
„Paparazzi“, Tel.: (030) 492 71 81
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