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„Ich werfe deine Leiche den Krokodilen vor“

■ Kacou Aoulou, erster Bauminister der Elfenbeinküste, errichtete das Gefängnis von Assabou. Dann saß er selber drin und erlebte Staatschef Houphouet-Boigny als Folterherrn

Am 2. September 1963 um zehn Uhr morgens werden die Minister zur Kabinettssitzung einberufen. Am Eingang werden sie durchsucht. Der Raum ist voller Präsidialgardisten. Der Präsident zeigt sich an der Spitze eines Dutzends pistolenbewehrter Wächter. „Meine Herren, es gibt keine Kabinettssitzung“, sagt er. „Denn Sie haben ein Komplott angezettelt, um mich zu ermorden und die Macht zu ergreifen. Sie sind alle kompromittiert. Ich verhafte Sie. Legt ihnen Handschellen an!“

Es regnet Verhaftungen in Abidjan, den ganzen Tag, die ganze Nacht, tagelang. Im Gefängnis von Yamoussoukro teilt Houphouet die Zellen telefonisch zu: Verlies, Einzelzellen, Gemeinschaftszellen. Die Räume sind nackt, ohne Matratzen, ohne Decken, nachts bleiben die Handschellen dran: Befehl von Houphouet. Zehn Monate lang handelt Houphouet allein mit seinen Polizeiinspektoren, seiner Garde, seinen Bediensteten und Verwandten. Durch Folter aller Art, Prügel, Essensentzug, Erniedrigung, Einreiben von gemahlenem Pfeffer in Wunden, Augen und Nasenlöcher, erzwingt er Geständnisse. Seine Zeit reicht nicht aus: Zwei Tage in Abidjan für die Regierungsgeschäfte, fünf Tage in Yamoussoukro zum Foltern.

Die erste Befragung wird in Houphouets Abwesenheit von Samba Androise geleitet, Abgeordneter aus Dimbokro.

„Gestehst du das Komplott?“

„Was für ein Komplott?“

„Wieso wurdest du verhaftet?“

„Weiß ich doch nicht!“

„Du wirst es wissen. Peitscht ihn aus!“

Eine Truppe von acht bis zehn Baoulé-Milizionären mit Büffelpeitschen und Knüppeln wirft sich auf den „Mörder“, zerreißt seine Kleider, zieht ihn splitternackt aus, wirft ihn in Handschellen zu Boden. Samba Ambroise hat 100 Schläge befohlen – es gibt 100 Schläge, trotz Geschrei, Geheul, spritzendem Blut, Atemnot. Schläge, Schläge, Schläge bis zur Bewußtlosigkeit. Dann schleift man den Sterbenden in die leere kalte Zelle, ohne Decke, ohne Matratze, wo er die Nacht auf dem feuchten Boden verbringen darf.

In der folgenden Nacht wird der Gemarterte abgeholt und in Houphouets „Heiligen Wald“ gebracht. Houphouet sitzt in einem Kreis von mit Peitschen und Stöcken bewaffneten Milizionären. Der Wald ist dunkel.

Houphouet ergreift das Wort. „Hier haben meine Ahnen Menschen getötet, um den Fetischen Menschenopfer zu bringen. Seit Tagen lasse ich dich befragen. Dies ist deine letzte Chance. Wenn du jetzt nicht redest, um so schlimmer für dich. Ich töte dich und werfe deine Leiche den Krokodilen in meinem See vor. Redest du?“

„Ja, Herr Präsident.“

„Und?“

„Ich habe nichts getan. Ich weiß von der Sache nichts.“

„Dein Pech. Fangt an! Schlagt ihn, bis er gesteht oder stirbt. 200 Schläge.“

Peitschen- und Stockhiebe regnen auf den Mann in Handschellen nieder, der von vier anderen an den Knöcheln am Boden festgehalten wird. Houphouet ist wie außer sich vor Zorn und schreit: „Tötet ihn! Tötet ihn!“ Die Schreie, die von dem Restchen Mensch ausgehen, sind kaum noch mehr als Gegrunze. Die Auspeitscher halten einen Moment inne, außer Atem. Houphouet treibt sie auseinander und fragt das unidentifizierbare Ding im Staub:

„Und?“

Auszüge aus einem Gedächtnisprotokoll von Kacou Aoulou, das erstmals am 23.5.1997 in der Abidjaner Tageszeitung „Le Jour“ veröffentlicht wurde.

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