: Die geheimen Foltergärten von Yamoussoukro
Alle wußten es, aber alle blieben stumm angesichts der Brutalität, mit der Felix Houphouet-Boigny, der bis heute verehrte erste Präsident der Elfenbeinküste, sein Regime baute. Nun bricht eine Buchveröffentlichung das Schweigen ■ Von Dominic Johnson
Das hatte das Hotel Ivoire noch nicht erlebt. Der Saal im mondänen Fünfsternepalast von Abidjan wurde eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn wegen Überfüllung geschlossen. Drinnen sprachen einige alte Männer, schwer vom Leben gezeichnet, von der düsteren Vergangenheit. Und im Raum drängten sich Hunderte von Leuten, alle mit einem Buch in der Hand, das sie unbedingt signiert haben wollten, denn mit auf dem Podium saß Samba Diarra. Als erster in der Elfenbeinküste hat dieser ehemalige politische Gefangene ein Buch geschrieben über die bleierne Zeit der Repression in dem westafrikanischen Land.
„Les faux complots d'Houphouet-Boigny“ heißt es, „Die falschen Komplotts von Houphouet-Boigny“, also des ersten Präsidenten der Elfenbeinküste, der von der Unabhängigkeit 1960 bis zu seinem Tod Ende 1993 als Alleinherrscher über seinem Land thronte. Weil die Elfenbeinküste in dieser Zeit zum reichsten Land Westafrikas heranwuchs und als einziger Staat der Region nie Putsche oder Bürgerkriege erlebte, ließ sich Houphouet-Boigny in ganz Afrika als Humanist, Friedensbringer und Wohlstandserzeuger feiern. Noch heute wird er gottgleich als Vater der Nation verehrt. Aber nun beschreibt Diarras Buch, wie Houphouet-Boigny durch die Erfindung immer neuer imaginärer Verschwörungen gegen ihn alle Mitstreiter ausschaltete.
Immer wieder – 1959, zweimal 1963 mit Folgewirkungen bis 1966, und schließlich am blutigsten 1970 – bezichtigte Houphouet-Boigny, Führer der „Demokratischen Partei der Elfenbeinküste“ (PDCI) vor der Unabhängigkeit und danach Staatschef, hohe Politiker des Verrats, ließ sie entmachten, verhaften, manchmal auch verurteilen oder töten. Wer beim einen Mal eifrig mitmachte, war zuweilen beim nächsten „Komplott“ selber dran. Oft wurden die Opfer später wieder als Marionetten in hohe Ämter eingesetzt.
Diarra selber, Anfang der 60er Jahre in Senegal ausgebildeter Arzt und einer der Leiter des Kulturbundes der Elfenbeinküste, war Opfer des sogenannten Komplotts der Jungen vom Januar 1963. Am 14.Januar 1963 zitierte Houphouet-Boigny Dutzende Würdenträger des jungen unabhängigen Staates in seine Privatresidenz in seinem Geburtsort Yamoussoukro und behielt eine Reihe von ihnen als angebliche Verschwörer da. Sie kamen in verschiedene Gefängnisse, darunter eines auf Houphouets Privatplantage sowie das neuerbaute Gefängnis Assabou direkt nebenan, wo die Insassen auf dem nackten Beton auf ihre Folter warten durften.
Im September folgte das „Komplott der Alten“, als diejenigen verhaftet wurden, die im Januar davongekommen waren – darunter viele hohe Minister sowie angeheiratete Verwandte des Präsidenten. Einer davon war Bauminister Kacou Aoulou, der den Bau des Gefängnisses Assabou geleitet hatte und dann selber hineinkam. Sein Bericht darüber ist in Folge von Diarras Buch jetzt ebenfalls veröffentlicht worden (siehe unten).
Diarras Beschreibungen des Lebens – und Sterbens – in Houphouet-Boignys Quasiprivathaft lesen sich wie eine afrikanische Version des Gulag-Archipels. Der Präsident befiehlt die Folterungen und schaut dabei ungerührt zu. Seine ältere Schwester leitet die Gefängnisküche. Einem Gefangenen wird im Beisein des wohl etwas erstaunten Präsidenten von Obervolta (heute Burkina Faso) ein Auge ausgeschlagen. Ein anderer muß zugucken, wie seine verhaftete Frau auf Befehl Houphouets von einem Leprakranken sexuell bedrängt wird. Der verhafteten Mutter des PDCI-Generalsekretärs Jean-Baptiste Mockey droht Houphouet, ihr Pfeffer in die Vagina zu streuen und sie von seinen Leibwächtern vergewaltigen zu lassen. Diarra zitiert eine Ansprache des Präsidenten vor den gefangenen Politikern am 31. Januar 1963: „Ich werde alle begraben, die davon träumen, meinen Platz einzunehmen. Und die, die nach meinem Leben trachten. Und die Zeitzeugen... Es gibt hier in Yamoussoukro Leute, die euch die Wahrheit entreißen werden. Sie werden euch schlagen, bis ihr die Wahrheit sagt. Und überhaupt: Die Wahrheit wird meine Wahrheit sein. Wenn ihr sterbt, werden eure Leichen den Krokodilen vorgeworfen. Wißt ihr: Ich bin böse, sehr böse; ich bin gewalttätig, sehr gewalttätig. Fast 20 Jahre lang habe ich versucht, das vor meinen Freunden zu verbergen. Heute zwingt ihr mich dazu, mich zu zeigen, wie ich wirklich bin.“
Man darf nicht vergessen, daß die Opfer nicht obskure Dissidenten waren, sondern die bekanntesten Politiker des Landes, die zum Teil seit Jahrzehnten mit Houphouet zusammenarbeiteten und mit ihm befreundet waren. Gerade das machte das Geheimnis von Houphouets Erfolg aus. Im Laufe der Jahre lernten alle Menschen im Umkreis des Präsidenten, in ständiger Angst zu leben. „Das Houphouet-System“, faßte der Schriftsteller Sery Bailly bei der Buchpräsentation im Hotel Ivoire Diarras These zusammen, „organisiert die Rotation der politischen Kader. Je mehr sie rotieren, desto weniger schlagen sie Wurzeln und desto weniger können sie die Maschine stören. Das System nährt sich von Naivität und Schweigen und findet seine fortgeschrittene Form in der Selbstzensur und dem Wunsch, dem Führer zu gefallen. Das Volk ist Komplize in seiner eigenen Erniedrigung.“
Die meisten Gefangenen von 1963, auch Diarra, kamen 1966 frei. Houphouet-Boigny fühlte sich offenbar sicher. 1971 sagte er, es habe nie ein Komplott gegen ihn gegeben. Von Entschädigung oder Rehabilitierung war keine Rede. Statt dessen ließ der Präsident das Gefängnis Assabou restlos abreißen. Das Gelände wurde Teil der riesigen Parkanlage, wo Houphouet in den 80er Jahren die größte Kirche Afrikas errichten ließ: Die dem Petersdom in Rom nachempfundene Basilika „Notre Dame de la Paix“.
Diarra schrieb sein Buch 1970/71, aber zur Veröffentlichung entschied er sich erst nach Houphouet-Boignys Tod 1993, weil er Angst hatte. 1990 erzählte er doch dem Präsidenten von dem Manuskript. „Weil er mein Temperament kennt, sagte er: Ich hoffe, daß du mir nicht zu viel Unrecht antust“, berichtet Diarra. „Ich antwortete: Es geht nicht darum, jemandem Unrecht zu tun, sondern die Tatsachen zu schildern.“
Heute beherrscht Diarras Buch die Spalten der freien Presse und verkauft sich trotz des stolzen Preises von 150 französischen Franc – das entspricht einem niedrigen Monatsgehalt – nach einem Zeitungsbericht „wie warme Semmeln“. Die zweite Auflage ist schon fast vergriffen, eine erweiterte Neuausgabe sowie eine Taschenbuchversion ist geplant.
Denn die von Diarra erzählten Fakten sind lange her, aber sie sind nicht Geschichte. Das von Houphouet-Boigny errichtete System hat seinen Tod überdauert. Sein Nachfolger Henri Konan Bédié legt trotz Mehrparteiensystem und Pressefreiheit ebenfalls Allüren von Selbstherrlichkeit an den Tag und preist die Elfenbeinküste als Modell für Afrika.
Dementsprechend ist der Staatsapparat jetzt über Diarra schwer erregt. „Die Ivoirer werden niemandem erlauben, die Erinnerung an den außergewöhnlichen Menschen Felix Houphouet-Boigny zu beschmutzen“, wetterte die Regierungszeitung Fraternité-Matin. Die regierende PDCI hielt es für nötig, ein Kolloquium aus dem Jahre 1996 anläßlich des 50. Jahrestages der Parteigründung als Buch herauszubringen. „Zu einer Zeit, wo individuelle und daher notwendigerweise suspekte und bruchstückhafte Zeugenaussagen versuchen, die Gemüter zu verwirren und die Person des Parteipräsidenten zu beschmutzen, ist es schön und beruhigend, daß ein Werk dieser Art, Ergebnis einer kollektiven Reflexion, in gewichtiger Weise die historische Wahrheit wiederherstellt“, tönte Generalsekretär Laurent Fona-Dologo.
Diarra stiftet offenbar tatsächlich Unruhe im Staat. In Folge seiner Veröffentlichung holen immer mehr ehemalige Gefangene ihre Erinnerungen hervor und gehen damit an die Öffentlichkeit. Der bisher prominenteste ist der amtierende Kulturminister Bernard Zadi Zaourou, der Ende April ankündigte, nun auch ein Buch zu schreiben. Das Vorwort zu Diarras Buch schrieb Bernard Dadié, bekannter Schriftsteller und Exkulturminister, der noch im Herbst 1996 auf dem PDCI-Parteitag die Schlußrede hielt.
„Dieses Buch läßt niemanden unberührt“, sagte Sery Bailly bei der Vorstellung des Werkes. „Es ist nicht an die Toten gerichtet, sondern an die Lebenden. Die Lobsänger, Eiferer und Denunzianten zeigen durch ihre Bitterkeit, daß sie noch da sind. Neue Akteure, alte Rollen! Sie sind immer noch da – diejenigen, die heulen und lechzen und warten, daß der Kaiser seinen Daumen senkt und den Tod befiehlt.“
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