: Berlin wird zur tiefsten Studienprovinz
■ Ab 2000 müssen die Hauptstadt-Unis sogar „Landeskinder“ abweisen. 25.000 Berliner Studienanfänger müssen sich 19.000 Plätze teilen – oder gehen
Berlin (taz) – Die Studentenstadt Berlin verabschiedet sich offiziell von ihrer Rolle als Metropole. Im Jahr 2000 könnten die Universitäten und Fachhochschulen der Hauptstadt rein zahlenmäßig gerade noch die studierwilligen Landeskinder ausbilden, sagte der für die höhere Bildung zuständige Wissenschaftssenator Peter Radunski (CDU) gestern. „Wir sind dann auf dem Niveau aller anderen Bundesländer“, konstatierte Radunski – und fügte verdrießlich an, er habe sich das bei seinem Amtsantritt anders vorgestellt. Westberlin hatte zu Mauerzeiten bewußt mit seinen Unis geworben, um junge Leute in die Stadt zu holen.
Radunskis gestrige Pressekonferenz über die Zukunft der Berliner Hochschulen kam einem Offenbarungseid gleich. Der schwergewichtige CDU-Senator mußte eingestehen, daß die jüngst gesetzlich auf 85.000 festgeschriebene Zahl an Studienplätzen nach der Jahrtausendwende nicht zu halten sei. „Ich bin mir im klaren, daß diese Zahl fragwürdig wird“, kündigte Radunski angesichts drastischer Einsparungen im Hochschuletat an. Radunski hat damit verspätet einen Zeitungsbericht bestätigt, wonach die Studienkapazitäten in Berlin innerhalb von zehn Jahren quasi halbiert werden. 1993 hatte Berlin noch 115.000 Studienplätze, im Jahr 2003 gebe es aber nur noch 62.000 Studienplätze, hatte der Tagesspiegel vor Wochen ein internes Papier der Wissenschaftsverwaltung zitiert. Von Bündnisgrünen und Hochschulpräsidenten war dies als „zutiefst provinziell“ charakterisiert worden, und Radunski hatte heftig dementiert.
Nun legte der Wissenschaftssenator einen Auszug seines neuen Berliner Hochschulstrukturplans vor. Danach können die höheren Bildungsanstalten der Hauptstadt im Jahr 2000 nur 19.000 StudienanfängerInnen aufnehmen. Indes wird es dann rund 25.000 eingeborene Berliner Studienbewerber geben, heißt es in einer anderen Prognose aus Radunskis eigener Verwaltung. Parallel zur Hauptstadt fährt auch das brandenburgische Umland seine Studienkapazitäten zurück. Dort wollte Wissenschaftsminister Steffen Reiche (SPD) ursprünglich 34.000 Studienplätze aufbauen. Wegen der notorischen Finanzknappheit in der Mark wurde diese Zahl nun auf 20.000 reduziert. Auf den – noch – 100.000 Berliner Studienplätzen drängeln sich derzeit über 130.000 Studierende.
Die letzte Hoffnung des in Berlin schwer gescholtenen Doppelsenators für Kultur und Wissenschaft, Peter Radunski, ist eine trostlose: Schließlich studierten nicht alle Berliner Schulabsolventen mit Hochschulreife tatsächlich an der Spree, seufzte er. Es paßten also auch noch einige Nichtberliner Studis in die Hörsäle.
Mit dem Vorhaben, seine eigenen Söhne zwecks Studium in die Fremde zu schicken, ist Radunski ebenfalls gescheitert. Erst kürzlich hatte der Senator darüber geklagt, er verdiene nicht genug, um seinen Söhnen ein Studium in den USA zu bezahlen. Christian Füller
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