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Bonn: Palästinenser zurück in die Lager

■ Die Bundesregierung will bis zu 15.000 Palästinenser in den Libanon abschieben. Ein Regierungsabkommen soll möglichst bis Ende Juni unterzeichnet werden. In Beirut erwartet die Staatenlosen ein Leben im Flüchtlingslager

Berlin/Beirut (taz) – Bis zu 15.000 in Deutschland lebenden Palästinensern droht die Abschiebung in den Libanon. Den meisten steht dort eine Zukunft in überfüllten Flüchtlingslagern bevor. Grundlage für die Abschiebung ist ein deutsch-libanesisches Rückführungsabkommen, über das zwischen Bonn und Beirut verhandelt wird. Nach Einschätzung des Berliner Landeseinwohneramtes soll es bereits Ende dieses Monats unterschriftsreif sein.

In den letzten Wochen erhielten zahlreiche in Berlin lebende Palästinenser einen Brief der Behörde: „Im Hinblick auf ein Rückführungsabkommen mit dem Libanon (...), das voraussichtlich bis Ende Juni 1997 unterzeichnet sein wird“, werde ihnen letztmalig eine vorübergehende Duldung erteilt. Allein in Berlin fürchten jetzt zwischen vier- und fünftausend Menschen – darunter viele Familien –, zwangsweise in einen Flieger nach Beirut verfrachtet zu werden. Nach deutscher Definition handelt es sich um Staatenlose mit dem Herkunftsland Libanon. Die überwiegende Mehrheit sind Palästinenser. Aber auch Kurden und Armenier, die im Libanon ebenfalls keine Staatsbürgerschaft bekommen, sind betroffen.

Eingeleitet wurden die Verhandlungen über das Abkommen durch den Besuch einer deutschen Delegation in Beirut im Dezember vergangenen Jahres. Nach Berichten libanesischer Medien soll der Direktor der libanesischen Sûreté Generale, Raimond Ruffajil, anschließend in Bonn ein Vorabkommen unterschrieben haben.

Nach Informationen der taz liegt den libanesischen Behörden jetzt ein deutscher Entwurf vor. Darin soll eine „paketweise“ Abschiebung vorgesehen sein: Zunächst werden 6.000 Palästinenser ausgeflogen. Eine entsprechende Namensliste sollen deutsche Gesandte kürzlich in Beirut übergeben haben.

Die libanesische Zeitung Daily Star zitierte am Wochenende den deutschen Botschafter in Beirut, Peter Wittig, mit den Worten, das bevorstehende Abkommen sei „ein Zeichen der Normalisierung zwischen unseren beiden Staaten“. Anders als die Berliner Behörden glaubt Wittig jedoch, daß ein entsprechendes Protokoll in der „näheren Zukunft“ noch nicht unterschriftsreif sein werde. Dies sei jedoch auch nicht erforderlich, denn „aufgrund der guten Zusammenarbeit besteht keine Notwendigkeit, diese zu formalisieren“. Tatsächlich sind in den letzten Monaten auch ohne Rückführungsabkommen Hunderte libanesische Staatsbürger aus Deutschland abgeschoben worden.

Zur Aufnahme von Palästinensern war der Libanon jedoch bisher nicht bereit. Libanesische Minister bezeichneten sie sogar als „Menschenmüll“. Flüchtlingshilfsorganisationen vermuten, daß die Bundesregierung nun versucht, Libanon die Rücknahme der ungeliebten Palästinenser durch finanzielle Versprechungen schmackhaft zu machen. Das Bundesinnenministerium hüllte sich auf Anfragen in Schweigen. Thomas Dreger/Jiri Wittman

Tagesthema Seite 3

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