: Humanitäre Hilfe für ein verbrecherisches Regime?
■ Anders als in den USA kann sich in Europa kaum jemand für Spendenaktionen für Nordkorea erwärmen. Denn wem die Hilfe wirklich zugute kommt, ist ungewiß
Nordkorea hat in Europa keine Lobby. Hilfsorganisationen aus aller Welt müssen zu diesem Ergebnis kommen, nachdem die Kunde von der seit Jahren schwersten Hungersnot in Ostasien hierzulande in Medien und Öffentlichkeit kaum Reaktionen auslöste. „Als Weltbürger sind wir in Nordkorea alle zum Handeln aufgefordert“, sagte kürzlich der Präsident des Hilfswerk World Vision, Dean Hirsh.
Hirshs Worte in des Deutschen Ohr. Aber hat in Europa schon einmal irgendwer daran gedacht, für Nordkorea zu spenden? Indessen macht es die amerikanische Regierung vor: „Alle von uns besitzen einen humanistischen Impuls zum Helfen“, mahnte der Sprecher des Washingtoner Außenamts, Nicolas Burns. Die USA gingen mit gutem Beispiel voran, sagten dem kommunistischen Regime in Pjöngjang Lebensmittelhilfen über 25 Millionen US-Dollar zu. Doch alle Regierungshilfen werden nicht ausreichen, die Hungersnot zu bändigen. Die Frage darf also gestellt werden: Warum spenden nicht auch Sie für Nordkorea?
Aber: In Nordkorea regieren Verbrecher. Wenn nach Terror- Attentaten auf südkoreanische Minister und Zivilflugzeuge sowie Entführungen japanischer Teenager überhaupt noch Zweifel an der Natur des Regimes in Pjöngjang vorhanden waren, wurden sie jetzt in Japan ausgeräumt: Im Pazifik-Hafen von Hososhima stellte die Polizei an Bord eines nordkoreanischen Frachters Drogen im Wert von hundert Millionen Dollar fest. Wer glaubt da schon, daß für die Milliarden, die nach Nordkorea fließen, Weizen und Reis für hungernde Kinder gekauft werden? Der Diktator Kim Il Jong hält sich eine Eine-Million-Mann-Armee, mit der er die südkoreanische Hauptstadt Seoul in einem „Meer aus Flammen“ (Regierungspropaganda) aufgehen lassen will.
Pjöngjang ließ widerholt die Vorverhandlungen für Friedensgespräche mit Südkorea platzen. Washington hatte sich bemüht, beide Seiten zu einer Viererrunde mit den Chinesen an einen Tisch zu bekommen, um das Waffenstillstandsabkommen von 1953 durch einen Friedensvertrag zu ersetzen. Doch Nordkorea stellte für einen Beginn der Friedensgespräche gleich drei Bedingungen: Lebensmittelhilfe, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den USA und eine Lockerung der US-Handelssanktionen.
Nordkoreas Hungersnot ist selbstgemacht. Dafür verantwortlich ist „juche“, die Systemgeburt des Kim-Kommunismus. Der Partisanenkämpfer und Dynastiebegründer Kim Il Sung wollte einen Sozialismus nach dem Selbstversorgungsprinzip erfinden. Dabei hatte Kim viele Bewunderer: „Das Land braucht den internationalen Vergleich nicht zu scheuen“, hieß es noch 1989 in einem vom Hamburger Institut für Asienkunde herausgegebenen „Politischen Lexikon“. Das nordkoreanische Pro- Kopf-Einkommen lag bis in die siebziger Jahre gleichauf mit dem Südkoreas. Von 1953 bis 1965 stieg die Industrieproduktion Nordkoreas um das 17fache. Das macht die nordkoreanische Hungersnot so einzigartig: Sie ist am Ende des 20. Jahrhunderts die erste in einem ursprünglich hochindustrialisierten Land.
Erst als die beiden großen Nachbarn Nordkoreas, China und Rußland, nach Ende des Kalten Krieges ihre staatlich subventionierten Tauschgeschäfte mit Pjöngjang stoppten, brach die nordkoreanische Wirtschaft ein. Jetzt entpuppte sich die „juche“- Ideologie als Lüge. Selbstversorgung hatte es für die 20 Millionen Nordkoreaner nie gegeben. Hinzu kamen Flutkatastrophen in den vergangenen zwei Jahren, die jedoch nur einen Teil der Hungersursachen ausmachen. Die wirklichen Gründe lauten: Mißwirtschaft, Korruption und Überbeanspruchung der Felder mit Folgen der Bodenerosion.
Um so schlimmer für die Hilfswerke, daß nicht einmal Bilder das Mitleid fördern. Fernsehstationen dürfen vor Ort nicht filmen. Das moralische Dilemma aber, vor dem der Westen in bezug auf Nordkorea steht, wird durch den fehlenden Fernsehbonus allenfalls größer. Wenn Kinder unter Kommunisten sterben – was tun? Nicht einmal die Erfahrungen mit dem kommunistischen Osteuropa lassen sich auf Nordkorea anwenden: Die von Pariser Meisterdenkern einst gegen die Entspannungspolitiker angemahnte Solidarität mit Oppositionellen und Gulag-Opfern – muß sie nicht in Nordkorea den Hungeropfern gelten? Oder sind auch Lebensmittelhilfen systemstabilisierende Maßnahmen? Ohne Kinder, die ihm folgsam sind, kann Kim nicht regieren. Aber ohne Kinder, die gegen Kim eines Tages Widerstand leisten, wird es kein freies Korea geben. Georg Blume
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