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Wer wird denn gleich Flagge zeigen?

Christopher-Street-Day und der Fahnen-Streit: Eine Woche lang tobt das schwulesbische Leben, aber aus Angst vor der Flaggen-Ordnung wird der Regenbogen auf Hamburgs Rathäusern nicht gehißt  ■ Von Heike Haarhoff

„Schöne Aussichten für Schwule und Lesben“verspricht Hamburgs Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) dieser Tage plakativ und lädt heute um 19.30 Uhr zur Diskussion ins Café Schöne Aussichten. Nur die Sicht aus dem Rathaus, seinem Regierungssitz, nein, die will sich der Stadtchef nicht verhängen lassen. Nicht zum Christopher Street Day, und schon gar nicht mit einer Regenbogenfahne, „der Flagge der Lesben und Schwulen auf der ganzen Welt“. Denn, bei aller Toleranz: Wer wird denn gleich Flagge zeigen wollen?

HamburgerInnen wollten. Lesben und Schwule wollten. Die Grünen. Die OrganisatorInnen des Christopher Street Day auch. Als Zeichen der Solidarität. Als symbolische Geste. Zur Erinnerung an Gewalt gegen schwule und lesbische Menschen. „Das hätte niemanden etwas gekostet“, sagt GALier Farid Müller. Die drei mal sechs Meter große Fahne hätte „die Szene“organisiert.

„Das Rathaus ist noch nie zum CSD beflaggt worden.“Senatssprecher Jan-Hinrich Fock kennt die Gepflogenheiten, festgelegt in der „Anordnung über Wappen, Flaggen und Siegel“von 1982. Der Tag der Arbeit ist dort erwähnt, der Europa-, der Übersee-, der Volkstrauertag („halbmast“). Der CSD taucht nicht auf. Folglich, widersprach die regierende SPD im April in der Bürgerschaft dem GAL-Antrag, dürfe die Regenbogenfahne an öffentlichen Gebäuden nicht wehen. Es sei denn, man ändere die Anordnung. Das aber wollte die Mehrheit nicht. „Dann beflaggen Sie doch Ihre Parteizentrale“, zischelte es gehässig von den rechten CDU-Rathausbänken. Die Sozis hatten keine Wahl: „Eigenhändig“werde er heute auf dem Kurt-Schumacher-Haus die Regenbogenfarben hochziehen, verspricht Schwuso Lutz Kretschmann, der im Herbst auf SPD-Platz 40 in die Bürgerschaft einziehen will. Die mittige der insgesamt drei SPD-Fahnen auf dem Partei-Gebäude wird vorübergehend abgenommen. Alle Wimpel zu ersetzen wäre zuviel des Guten, fanden Parteikollegen. Kretschmann kann damit leben. „Die Senatsverordnung ist sehr eng. Flaggen wir das Rathaus, müßten wir das auch am Welt-Krebstag oder Welt-Aids-Tag erlauben.“

DGB und Schauspielhaus werden zur Street-Parade am 21. Juni „aus Solidarität“das Banner wehen lassen. „Wir“, windet sich derweil Senatssprecher Fock, „haben die Regenbogenfahne nicht im Bestand.“Man müßte sie bei einem der professionellen Hamburger Fahnenverleihe mieten. So handhabt es die Stadt bei diplomatischen Auslandsgästen. So sie fahnenwürdig sind.

200.000 Lesben und Schwule leben nach Schätzungen des Schwulenverbandes in Deutschland in der 1,7 Millionen-Metropole Hamburg. Viele potentielle WählerInnen, weiß die GAL Altona und forderte: „Laßt uns wenigstens unser Bezirks-Rathaus flaggen!“Steht nicht in der Anordnung, daß Bezirke „bei besonderen Anlässen“ausnahmsweise eigenmächtig flaggen dürfen? „Ein weltweites Fest ist kein Bezirksanlaß“, kontert Fock. Auch die SPD Altona hatte keinen Mumm, den grünen Koalitionspartner zu unterstützen. Statt dessen propagiert sie das Politische im Privaten: Man „würde es begrüßen, wenn so viele Privatgebäude wie möglich mit der Regenbogenflagge geschmückt werden“, beschloß das Bezirksparlament.

Immerhin. Den anderen sechs Hamburger Stadtteil-Rathäusern war der CSD nicht mal der Rede wert. „Da könnte ja jeder hissen wollen, und morgen Karstadt“, empört sich eine leitende Verwaltungsangestellte aus Nord. Bernhard Hellriegel, Interims-Bezirkschef aus Harburg, „hätte im Prinzip nichts dagegen“zu flaggen, traut sich aber nicht, „nur weil es mir sympathisch ist“, sich der Landesregierung zu widersetzen. In Bergedorf hat sich der zuständige Beamte „40 Jahre lang nicht über Senatsbeschlüsse hinweggesetzt, gute Frau“. In Wandsbek „kennen wir die Veranstaltung gar nicht“, und in Eimsbüttel würde man sich „im Zweifel rechtmäßig verhalten“. Aber, wundert sich Bürgermeister Jürgen Mantell (SPD), die Bezirksversammlung habe die CSD-Debatte wohl schlicht verschlafen: „Mir liegt nicht mal ein Antrag vor.“

Rebellischer sind die Bezirke in Berlin: Dort setzten sich die drei grünen BürgermeisterInnen von Schöneberg, Charlottenburg und Tiergarten bereits 1996 über das Flaggverbot hinweg. „Sanktionen hat's keine gegeben“, lacht die Schöneberger Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer. In diesem Jahr wollen alle Berliner Bezirke nachziehen. „Ein Straftatbestand ist das nicht“, räumt Fock ein.

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