: Schmelzende Architekten
■ Deutscher Architektentag: Der Staat trägt zum Verfall der Sitten am Bau bei
Der Chef der Berliner Architektenkammer, Cornelius Hertling, tropfte. Sein Kollege vom Bund Deutscher Architekten (BDA), Carl Steckeweh, verlor mindestens fünf Kilogramm. Und der Baumeister aus Halle, der sich bei der Eröffnungsveranstaltung des Architektentages in der glühenden Sonne auf dem Schloßplatz keinen Schirm ergattern konnte, schmolz wie Hunderte seiner BerufsgenossInnen dahin.
Der Verlust des eigenen Gewichts gehört derzeit wohl zu den physischen Erfahrungen, denen Architekten ausgesetzt sind. Doch es sind nicht allein die tropischen Temperaturen vor und im Staatsratsgebäude, wo seit zwei Tagen über die gegenwärtige Berliner Architektur und die Zukunft der Baukultur debattiert wird, die die Architekten schwitzen lassen.
Weit mehr als die Hitze arbeiten andere Kräfte am Verschwinden der Architektur und der Planer: Generalunternehmer, große private Träger wie debis, Sony oder Banken, anonyme Entwicklungsgesellschaften, neue Technologien, wirtschaftliche Strukturveränderungen und juristische Zwänge. „Der Berufsstand heute“, sagte Peter Erler, Präsident der Bundesarchitektenkammer, gestern, „wird zurückgedrängt.“ Der Baumarkt und nicht mehr die traditionelle Planungskultur bestimme die Realität am Bau. „Schnelles Bauen statt öffentlich kontrollierter Planung und Wildwestmethoden der privaten Auftraggeber“ griffen mehr und mehr um sich. Spannende Entwürfe, qualitätvolle Architektur und ein gutes Management der Baustelle sowie der Kosten gingen dabei vor die Hunde. Erler: „So verschwindet Architektur.“
Schuld an der Misere, so Erler, lade insbesondere der Staat auf sich. Durch seinen zunehmenden Rückzug aus dem Baubereich trügen der öffentliche Auftraggeber sowie die Politik zum Verfall der Sitten im Baugewerbe bei. Anstatt verstärkt auf die private Schiene zu setzen, müßten die Länder und Kommunen dafür sorgen, daß die Vergabeverfahren bei Bauprojekten transparent und sauber blieben. Erler warf Bundesbauminister Klaus Töpfer (CDU) vor, beim Bau der Parlaments- und Regierungsgebäude, der Ministerien und Wohnungen für Bundesbeamte in Berlin die Verantwortung des Bauens an private Investoren zu übereigenen. Die Bundesregierung sei der Meinung, daß diese weitaus billiger arbeiteten, und nehme billigend in Kauf, daß daß „Sub-Subunternehmer auch mit kriminellen Methoden“ heruntergehandelt würden.
Während Klaus Töpfer keine „Mafiastrukturen“ erkennen wollte, legten gestern andere Architekten nach. Während früher die Architekten den gesamten Planungs- und Bauablauf kontrollieren konnten, so der Berliner Architekt Konrad Wohlhage, diktiere der „Einfluß des Kapitals“ die Projektorganisation. Daß dabei billige Materialien eingesetzt würden und man auf minderwertige Architekturen setze, bilde eine Konsequenz des „Gewichtsverlusts“.
Dennoch sehen Erler, Wohlhage und die baupolitische Sprecherin der Bündnisgrünen im Bundestag, Franziska Eichstätt-Bohlig, nicht das Ende der Architektur und des Berufsstandes. „Es kommt darauf an, zu lernen und zu zeigen, daß wir es besser können als die Projektsteuerer“, betonte Kammerpräsident Erler. Die rund 90.000 Architekten in der Bundesrepublik müßten lernen, daß ihr Beruf sich nicht nur im Entwerfen schöner Häuser erschöpfe, sondern sich auf andere Bereiche erstrecken müsse – die Planung, Kostenkontrolle und das Management. Wohlhage: „Wir müssen agieren, initiativ werden.“ Rolf Lautenschläger
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