Kühlkiste mit Thunfisch

Ein gescheitertes Experiment. Klaus Hoffmann verwandelt sich in Jacques Brel: „Die letzte Vorstellung“ im Berliner Schiller Theater ist ein Konzertical geworden, ein furioses Konzert, aber kein überzeugendes Bühnenstück  ■ Von Axel Schock

Einen Traum habe er sich verwirklicht, sagt er am Ende sichtlich erleichtert und beglückt, den enthusiastischen Applaus für einen Moment unterbrechend. Und er dankt ganz besonders der im Publikum sitzenden Thérèse Brel und dem Produzenten Peter Schwenkow, den er sich dazu auf die Bühne holt. Zwischen diesen beiden Menschen zerrt Klaus Hoffmanns Traum: zwischen der aufrichtigen Verehrung des großen belgischen Chansons und den Zwängen kommerzieller Vermarktung. Zwei Jahre hat Hoffmann seinem Idol und Vorbild Jacques Brel nachgespürt, das Vertrauen und Respekt der Witwe erlangt, im Nachlaß gestöbert und eine Art Porträt des Chansonsängers erarbeitet. Der Berliner Unterhaltungsmogul und ins Zwielicht geratene Pächter des Schiller Theaters hingegen stand unter Leistungsdruck, hatte er doch für eine eher symbolische Miete dem Berliner Senat jede Menge musikalische Eigenproduktionen und Historicals versprochen, aber lediglich Vermietungen mit Tourneeshows à la „Fame“ und „Chorus Line“ auf die Bretter der einstigen staatlichen Bühne gebracht.

„Das neue Musical“ prangt es von den Plakaten und Werbezetteln. Zwar gibt's auch zu „Brel“ Merchandising von der Kaffeetasse bis zur Schirmmütze, als wär's das „Phantom der Oper“, die Zuschauererwartungen klassischer Musicalbesucher dürften hingegen ziemlich unbefriedigt bleiben.

Hoffmann im Existenzialistenlook, im Anzug mit schwarzer, locker gebundener Krawatte, ist Brel, und zwar mit Leib und Seele. Hoffmann ist der Star, das Zentrum des Abends, und niemand neben ihm – außer den 25 jungen, eigens für die Produktion zusammengestellten Musikern. „Brel – Die letzte Vorstellung“ ist eine Soloshow mit Orchester. Keine Co-Akteure, keine Dialoge, keine Handlung im herkömmlichen Sinne.

Der Ausgangspunkt ist fiktiv: Brel bei der Generalprobe zu einem Konzert, das nicht mehr stattfinden wird, denn der Sänger wird es nicht mehr erleben. Er stirbt, vom Lungenkrebs zerfressen. Brel singt und monologisiert über sich und seine Welt: über die Frauen, die Liebe und seinen unstillbaren Drang nach Sex. Über das Leben an sich („Sie sollten nie breitbeinig pissen. Ein Blitz könnte Ihre Eier treffen“) und die französische Linke („Weicheier in Parkas“). Über allem aber steht und droht der nahe Tod. Von immer stärker werdender Atemnot bedrängt, philosophiert er über vergangene Zeiten, vertane Chancen, verflossene Lieben; spricht zu den Menschen, die ihm wichtig waren, die er verletzt, geliebt oder verlassen hat. In diesen Momenten ist Hoffmann der Geschichtenerzähler, wie er auf seinen Tourneekonzerten zu erleben ist: ein sprachlich versierter, poetischer Erzähler, der von den kleinen Wahrheiten des Lebens spricht und vom großen Glück im Kleinen. Je länger „Die letzte Vorstellung“ dauert, desto mehr verschmelzen Hoffmann und die Bühnenfigur Brel. So bewegend manch Moment auch sein mag: Dramaturgisch geht der dreistündigen Show spätestens nach der Pause die Luft aus. Etwas beschwerlich bemüht man sich um Spielmaterial. Ein zur Stummheit verdammter Hausmeister öffnet und schließt das Fenster, bringt auf Geheiß einen Korb Orangen für die Musiker und repariert auch mal das defekte Mikroport. Der Klarinettist kommt zu spät. Bedrohlich und bedeutsam fällt das Licht auf ihn, und Brel/Hoffmann hebt an, sich über Unpünktlichkeit und die Leidenschaft für Musik auszulassen. Eine schwere Kühlkiste mit einem Thunfisch darin senkt sich vom Bühnenboden, und Hoffmann schwebt in einer Don- Quichote-Ritterrüstung dem Bühnenhimmel entgegen. Die Bemühungen zum szenischen Spielmaterial (Regie: Peter Kock) sind ehrenhaft, aber zumeist vergeblich. Und sie wären vielleicht sogar nicht einmal nötig. Denn letztlich sind sich Hoffmann und sein bestens präpariertes Orchester (Leitung: Hans-Wolfgang Bleich) selbst genug: Mit heftiger Inbrust, fern von Kitsch und platter Imitation des Originals, gelingt es Hoffmann spielend, die Konzentration ganz auf sich zu ziehen – und zu halten. Selbst abgenudelt geglaubte Chansons wie „Amsterdam“ erhalten ein Feuer und eine bedrohlich sich in Ekstase schraubende Dynamik, die uneingeschränkt überzeugt und mitreißt.

„Ein Experiment“ hatte Hoffmann vorsorglich seine Unternehmung bezeichnet. Ein Konzertical ist es geworden; ein furioses Konzert, aber kein überzeugendes Bühnenstück. Ganz offensichtlich hat sich Hoffmann mit seinem Freundschaftsdienst an Schwenkow selbst einen Bärendienst erwiesen.

Weitere Vorstellungen bis zum 20.August