Märchen im starren Gefühlskorsett

■ Hammoniale: Die Compagnie Ea Sola sang die vietnamesische Schöpfungsgeschichte

Die Märchentante nervte. Noch bevor ein Mitglied der vietnamesischen Tanz- und Musikgruppe Compagnie Ea Sola auf der Kampnagel-Bühne zu sehen war, hatte sie schon betulich den vietnamesischen Mythos von der Erschaffung der Welt von ihrem Lesepult aus deklamiert – wie sich die Prinzessin der Berge und der Prinz der Gewässer vor langer, langer Zeit liebten und 100 Menschenkinder aus dieser Liebe entstanden. Wie sie sich wieder trennten und jeweils 50 Menschenkinder mit in ihre Heimat nahmen.

Von dieser Trennung der Brüder und Schwestern erzählt Il a été une fois der in Paris lebenden Choreographin Ea Sola. Die in Vietnam aufgewachsene Tochter eines Vietcong und einer Französin hat selbst in früher Jugend eine schmerzhafte Trennung erlebt, als sie vor dem Krieg aus ihrem Heimatland fliehen mußte. Doch von Schmerz, Wut oder Trauer war auf der Bühne nichts zu spüren.

Mit unbewegtem Gesichtsausdruck standen sich acht junge Frauen in hochgeschlossenen roten Gewändern und acht junge Männer mit nackten Oberkörpern gegenüber, getrennt von fünf in ihrer Mitte sitzenden Musikern.

Ein quälend langsames Tempo regierte die Aufführung. Extrem kontrolliert wirkten die oft synchron ausgeführten, sparsamen Bewegungen: die Tippelschritte auf Zehenspitzen, das Seitwärtsgleiten ohne Heben der Füße. Als höchste Form der Annäherung zwischen den Geschlechtern beugten Männer und Frauen einander die Oberkörper zu. Hier war eine Ahnung von Sehnsucht und Verbundenheit, von Trauer über ihren nahenden Abschied zu spüren. Ansonsten herrschte Zurückgenommenheit, fast Totenstarre in den Zeitlupengesten. Die innere Spannung fand keinen äußeren Ausdruck, der Zuschauer blieb unberührt, ja zeitweise gelangweilt von den spröden Bewegungsabfolgen ohne jede dramatische Steigerung.

Wenigstens ein hörbarer Spannungsbogen war bei der Musik aus dem südvietnamesischen Mekong-Delta erkennbar. Sangen Frauen und Männer zunächst getrennt und abwechselnd die klagenden, melancholischen Melodien zur vietnamesischen Leier oder Zither, so fielen sie zum Schluß in einen gemeinsamen Chor der Stimmen.

Erst als die Choreographin zum verhaltenen Schlußapplaus erschien, löste sich die Lähmung von Künstlern und Publikum. Endlich durften die jugendlichen Darsteller Ea Solas rigides Gefühlskorsett sprengen und fröhlich zum Abschied winken. Karin Liebe