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Einstimmiges Votum für die Giftspritze

Die Geschworenen beim Bundesgericht in Denver verurteilen den 19jährigen Oklahoma-Attentäter Timothy McVeigh zum Tode. Die Verteidigung will in Berufung gehen  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Nach elfstündiger Beratung fällten die Geschworenen in Denver am Freitag nachmittag ihr Urteil: Timothy McVeigh (29) wurde zum Tode verurteilt. Er nahm das Urteil so teilnahmslos auf, wie er den ganzen Prozeß verfolgt hatte.

Bereits am 2. Juni war McVeigh für schuldig befunden worden, am 19. April 1995 das Alfred-P.-Murrah-Gebäude in Oklahoma City in die Luft gesprengt zu haben. Dabei kamen 168 Menschen ums Leben. Zur Festsetzung des Strafmaßes hörten die Geschworenen nochmals Zeugen der Anklage und der Verteidigung. Während die Anklage Überlebende und Angehörige der Opfer zu Wort kommen und in ihren Aussagen die Schrecken jenes Aprilmorgens vor zwei Jahren wieder lebendig werden ließ, arbeiteten die Zeugen der Verteidigung den liebenswürdigen American Boy von nebenan und den braven Soldaten heraus.

In Abänderung ihrer Strategie während der Beweisaufnahme legte die Verteidigung in der Phase der Strafzumessung das Gewicht nicht mehr auf das Abstreiten der Täterschaft ihres Mandanten, sondern auf dessen Motive. Das Entsetzen über eine Regierung, die Krieg gegen ihre eigenen Bürger führte, sollte McVeighs Haß verständlich machen. Die Verteidigung zeigte ein Video des Sturms von Sondereinheiten der Bundespolizei auf die Davidianer-Sekte, die sich im April 1993 auf einer Ranch in Waco, Texas, verschanzt hatte. Sie vernahm einen ganzen Tag lang Jim Pate, einen Journalisten der Söldnerzeitschrift Soldier of Fortune, der die Hintergründe dieses Sturms recherchiert hatte, bei dem 90 Menschen umkamen. McVeigh las diese Zeitschrift regelmäßig.

Die Verteidigung versuchte so, die Urteilsfindung in den Zusammenhang der Auseinandersetzung mit der regierungsfeindlichen Grundströmung im ländlichen Amerika und mit den militias zu stellen. Sie bat die Geschworenen, Verständnis für die Motive des Täters zu haben und in ihnen eine verquere Form des Patriotismus zu sehen. Implizit forderte sie damit die Geschworenen auf, Verständnis für die militias selber und ihre Ideologie zu haben.

Die Anklage hingegen sprach dem Täter jedes Ethos ab und schilderte ihn als feigen Mörder, der sich eine Tageszeit ausgesucht hatte, bei der möglichst viele Menschen, auch viele Kinder umkommen würden.

Viel Entscheidungsfreiheit hatten die Geschworenen nicht. Bundesrichter Matsch erinnerte sie daran, daß ausschließlich das Gesetz Grundlage ihres Urteils sei. Er gab den sieben Männern und fünf Frauen zwölf Fragenkomplexe mit, von deren positiven oder negativen Beantwortung ihr Urteil abzuhängen habe – Fragen darüber, ob die Tat geplant gewesen und ob dabei Tod und Verletzung billigend in Kauf genommen worden seien. Letztlich mußten die Geschworenen – in viele Fragen aufgespalten – nur eine einzige Frage beantworten: Überwogen die mildernden Umstände die erschwerenden?

Der Erwartungsdruck auf die Geschworenen war seit dem Schuldspruch vom 2. Juni nicht geringer geworden. Bei einer Umfrage sprachen sich 67 Prozent der US-Amerikaner für und 25 Prozent gegen die Todesstrafe für McVeigh aus. Am Ort des Bombenanschlags in Oklahoma City, wo sich Überlebende und Angehörige versammelt hatten, wurde die Nachricht vom Todesurteil mit kurzem Applaus und Tränen aufgenommen.

Zum ersten Mal seit 1963 hat ein Bundesgericht ein Todesurteil verhängt. Während Revisionsverfahren sonst staats- und bundesgerichtliche Instanzen durchlaufen, so daß bis zu 20 Jahren zwischen Urteil und Vollstreckung vergehen können, wird die von der Verteidigung angekündigte Revision in diesem Fall kürzer sein. McVeigh steht ein weiterer Prozeß vor einer Strafkammer des Bundesstaats Oklahoma bevor. Auch der Prozeß gegen seinen mutmaßlichen Komplizen Terry Nichols steht noch aus. Kommentar Seite 10

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