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Markt statt Hilfe

Industrieländer kürzen Entwicklungshilfe und erhoffen Privatinvestitionen. Teil 4 der taz-Serie  ■ Von Christa Wichterich

Ein Ergebnis steht bereits lange vor Beginn der Sondergeneralversammlung in New York bombenfest: Es wird keine neuen Gelder des Nordens für den Süden geben. „Dem Finanzminister ist alles recht, wenn es nur nichts kostet“, schimpft Barbara Unmüßig vom Forum Umwelt und Entwicklung.

Auch andere Industrienationen werden finanziell zugeknöpft antreten, prophezeit Michael Bohnet, konferenzgewiefter Ministerieller des Bonner Entwicklungshilfeministeriums (BMZ). Das Geld wird anderswo gebraucht, die Regierungen heizen die Standort- Hysterie an, die Öffentlichkeit beschäftigt sich mit Arbeitsplätzen, Renten und Steuern – sprich: mit der Wurst auf dem eigenen Teller statt mit dem Brot für die Welt.

Fünf Jahre nach dem Erdgipfel von Rio steckt die Entwicklungshilfe in einer heftigen Sinnkrise. Jürgen Hambrink von der Kindernothilfe beklagt, daß nach Rio weder die Entwicklungszusammenarbeit neu ausgestaltet, noch finanziell aufgestockt wurde. Dabei hatte der Erdgipfel höhere Transferleistung und damit eine bessere Armutsbekämpfung für entscheidend gehalten, um auch im Süden künftig nachhaltiges Wirtschaften zu fördern – sprich umweltfreundliche Entwicklung, statt wie bisher natürliche Ressourcen rücksichtslos zu verbrauchen.

Doch außenwirtschaftliche Eigeninteressen wurden trotz Rio unter der neuen Kuratel der Globalisierung unverhohlener denn je verfolgt, und kaum anderswo ist das Weight Watching so erfolgreich wie hier. Folge: Die Mittel für Entwicklungshilfe schmelzen ab wie die Pfunde bei einer Nulldiät. Die Mittel des Nordens schwinden exakt seit 1992, just als in Rio das bereits zwanzig Jahre alte Ziel wortreich bestätigt wurde, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts in die Entwicklungshilfe fließen zu lassen. Peter Molt, Vorsitzender von Venro, dem Dachverband entwicklungspolitischer regierungsunabhängiger Organisationen (NGO), befürchtet, daß die „kritische Grenze“ zur Wirkungslosigkeit erreicht ist. Das BMZ schüttet in diesem Jahr mit 0,29 Prozent sowenig Entwicklungshilfe wie noch nie aus. Nicht genug: Der Anteil davon an Geldern für Armutsbekämpfung sank darüber hinaus von 18,6 auf 14,2 Prozent.

Trotzdem geben sich die Regierungen der großen Industriestaaten frischen Mutes. Sie setzen auf den Markt als Supermechanismus, über den sich die Armut bekämpfen und die Umwelt schützen läßt. Länder des Südens, die ihre „Quote“ an Schadstoffausstoß unterschreiten, sollen Verschmutzungsrechte an andere verkaufen dürfen. Der Handel mit Emissionszertifikaten soll sie zum Umweltschutz motivieren und dafür das nötige Geld in ihre Kassen spülen.

So wie die Bundesregierung im eigenen Land statt auf staatliche Regulierung lieber auf Selbstverpflichtung privater Unternehmen setzt, hofft sie auch für den Süden, daß Privatinvestitionen die staatliche Abstinenz ausgleichen. Doch selbst die Vereinten Nationen bilanzieren lapidar, daß privates Kapital mitnichten den „Hauptzweck“ verfolgt, „ökologischen und sozialen Nutzen zu stiften“.

Zwar haben sich die Direktinvestitionen der Unternehmen aus den Industrieländern in den Ländern des Südens seit 1992 fast verdoppelt. Doch dieser Boom konzentriert sich auf ein Dutzend Länder, vor allem Südostasien und China, und läßt die ärmsten Länder wieder einmal links liegen. Das sind aber die am höchsten verschuldeten Länder, die fast die Hälfte der Entwicklungshilfe, die sie erhalten, postwendend zur Begleichung ihres Schuldendienstes an die Gläubiger zurückschicken müssen.

Durch die Investitionen wird zwar das Wirtschaftswachstum angekurbelt, aber Armut und Umweltzerstörung werden weltweit zunehmen. Die Armen werden auf den Markt verwiesen, auf dem sie sich, bitte schön, selbsthelfend und kleinunternehmerisch durchboxen sollen. Prototypisch geschieht dies mit Kleinstkrediten und einkommenschaffenden Maßnahmen für Frauen. Die erfahrene Projektgutachterin Claudia von Braunmühl ermittelte, daß die Zinsen für Frauenkredite meist satt über denen für die Privatwirtschaft liegen. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse, wie medizinische Versorgung und soziale Absicherung, werden dem Markt überlassen: Gesundheit, Bildung und Rente kann sich nur kaufen, wer das Geld dazu hat. Die Ärmsten aber sind gezwungen, ihr Überleben mit allen Mitteln zu sichern, eben auch durch Umweltzerstörung. Die Erkenntnis von Rio, daß Armutsbeseitigung im Süden Voraussetzung für Ressourcenschutz ist, blieb ohne Konsequenz bei den Industrieländern.

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