: BeBop-Sessions unter Packpapier
■ Miles und mehr: David Hammons hat in Bern Legenden des Jazz installiert
Eine Art von Blues liegt in der Berner Kunsthalle. Der kleine Tempel europäischer Hochkultur scheint leer, nur dämmrig-diffuse Blautöne dringen durch die mit Farbfolien abgeklebten Fenster, und leise spielt Musik. In den Nebenräumen liegt ein weißes Tuch oder zerknülltes Packpapier, unter dem Klassiker des Jazz laufen. Doch die Tonquellen bleiben verdeckt, die Musiker abwesend. Im Tiefgeschoß ist es etwas anders blau: An der Wand hängt eine Designer-Anlage und spielt handbeschriftete Kassetten mit Jazz- Tunes ab. Nebenan liegt auf einem abgewetzten Schlagzeug statt der Schlagstöcke eine ausgestopfte Katze, die für immer schläft.
„Blues and the Abstract Truth“ heißt die Arbeit von David Hammons aus Harlem, New York, und feiert leise die Legenden des Jazz und Blues – „Warum sollte ich mich wie Picasso verhalten?“ Bei Hammons hört man nun Miles Davis, John Coltrane oder Thelonius Monk. Die Meister der Kunst Europas machen für die Dauer seiner Ausstellung Pause – mehr wohl nicht. Hammons schätzt das institutionelle Interesse an Kunst ohne europäische Wurzeln ohnehin als trendabhängig ein: „Wäre man hier nicht ermattet, immer nur Bilder zu sehen, blieben wir weiterhin ausgeschlossen.“
Sein Interesse gilt ausdrücklich der Aufwertung alter „Meister“ afrikanisch-amerikanischer Musik, deren Geschichte in Jahrzehnten und nicht in Jahrhunderten datiert wird. In einem noch nicht veröffentlichten Interview mit dem Berner Gastgeber Ulrich Loock streitet Hammons dem aktuellen Jazz eine Meisterschaft ab, die er noch Miles und Monk zuschreibt, weshalb beide auch in eine Kunsthalle gehörten. Über das Heroische an seinem Projekt kann Hammons zumindest witzeln, wollte er doch einmal eine Ausstellung mit Miles- Davis-Perücken ausstatten. Aber sein schwarzes Gegengeschichtsbild, das die Aufwertung durch ein Museum strategisch nutzt, bleibt männlich geprägt.
„Der andere Grund, warum meine Arbeit als African-American mit Musik so verbunden ist, liegt daran, daß es uns nie erlaubt war, einen Stift anzufassen. Wer auch immer einem Sklaven einen Stift gab, war ein Feind des Staates. Singen konntest du auf den Plantagen immer und die Tradtion der Musik weitertragen, aber du konntest nie haltmachen, um zu zeichnen oder eine Marke zu setzen...“ Das Schrift- und Bilderverbot markiert Hammons Distanz zur Malerei, deren aufgespannte Leinwände draußen im Wind allenfalls zum Drachenfliegen gut seien. Hier liegt wohl auch der Grund, weiterhin von einer schwarzen Gemeinsamkeit zu sprechen, die Klassenverhältnisse, Privilegien oder krasse Unterschiede zwischen Harlem und Burundi übergeht: „Ich benutzte das Gewicht meiner Nichtigkeit. Ich habe keine Kultur. Ich habe kein Land.“
1983 veranstaltete Hammons an einer matschigen Straßenecke von New York einen „Bliz-aard Ball Sale“. Die auf einem Teppich ausgebreiteten und nach Größe sortierten Schneebälle ironisieren den Tauschwert seiner Kunstproduktion, es geht um Verkaufsgespräche, Abhängen und Trödeln: „Wenn du einen Gegenstand zwischen dich und die Leute stellst, fangen sie an, mit dir zur reden.“ Doch in der Nachbarschaft anderer VerkäuferInnen, die auf Pappkartons karge Ware feilboten, zeigt sich auch die Verzweiflung des (sich) Verkaufenmüssens.
David Hammons bezeichnet sich als „urban culture anthropologist“, der inzwischen wohl vom Verkauf seiner Kunst leben kann. Nun wechselt er die Gänge, hat bei der documenta in Kassel dem amerikanischen Biennale-Pavillon wegen fehlenden Respekts abgesagt und hinterläßt in Bern nur etwas Stoff und Papier, einen Katalog und den Nachklang aus Blues und Jazz. Während er bei einer Eröffnung im New Yorker PS 1 Basketballer und eine Band zugleich auftreten ließ, kippte er im Genter Museum mehrere Konzertflügel auf die Seite, aus denen dann Musik von Coltrane erklingt. Oblgeich er sich immer wieder auf die europäischen Meisterhallen einläßt – so nahm er noch an der letzten documenta mit einer dornbuschigen Haarskulptur teil –, sucht er hier keinen lokalen Bezug und bleibt demonstrativ auf Distanz: „Ich mache das nicht hier. Ich mache das in der Kunstwelt... Es ist weiterhin im Container.“ Jochen Becker
„Blues and the Abstract Truth“. Bis 29. Juni, Kunsthalle Bern
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen