: Die Angst vor der Einheit
■ In sechs Jahren feiern Katholiken und Protestanten gemeinsam Kirchentag
Kurz vor Weihnachten zogen die katholischen Bischöfe die Notbremse. Die Pläne für einen ökumenischen Kirchentag seien mit „erheblichen Bedenken“ aufgenommen worden, schrieb der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Bischof Karl Lehmann, im Dezember 1996 an das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK).
Die Furcht der Bischöfe vor ihrer sonst recht braven Laienorganisation kam nicht von ungefähr. Denn der Dachverband der katholischen Verbände hatte nicht nur verkündet, erstmals einen gemeinsamen Kirchentag auszurichten. Darüber hinaus forderte er von seinen Oberen, 500 Jahre des theologischen Grundsatzstreits über Bord zu werfen und das gemeinsame Abendmahl einzuführen. Was wie eine Petitesse wirkt, rüttelt tatsächlich an den Fundamenten der katholischen Kirche.
Die Bischöfe ängstigt nicht nur, daß ihre Schäfchen etwas anstoßen, das von der Obrigkeit nicht mehr zu kontrollieren sein würde. Bei einer Anerkennung der Abendmahlsgemeinschaft stünden zudem zentrale Traditionen und Glaubensinhalte des katholischen Klerus zur Disposition.
Aufgeschreckt vom Gegenwind aus Rom und von ihrer eigenen Courage rudern die katholischen Laien inzwischen zurück. Der ökumenische Kirchentag soll 2003 zwar mit über 100.000 Menschen stattfinden, aber das gemeinsame Abendmahl ist keine Bedingung. Die von den Kirchen offiziell unabhängigen Organisationen „Deutscher Evangelischer Kirchentag“ und „Zentralkomitee der Katholiken“ setzen nun nur noch auf die Symbolwirkung einer gemeinsamen Großveranstaltung. Im Nacken sitzt den Kirchen dabei nicht nur die biblische Mahnung zur Einheit der Christen, sondern vielmehr die schwindende Bedeutung der Kirchen. In den neuen Bundesländern sind die christlichen Kirchen nach 50 Jahren Tiefschlaf stellenweise zu Gemeinschaften von Sektengröße geworden. Doch auch im Westen sind die Kirchen in der Defensive.
Das Gefühl schwindender Bedeutung soll zusammenschweißen. „In einer zunehmend säkularen Welt müssen wir mit einer Stimme sprechen, weil die Spaltung uns unglaubwürdig macht“, meint Kirchentagspräsidentin Margot Käßmann. Und auch Theodor Bolzenius, Sprecher des ZdK, konstatiert, man müsse „stärker das Gemeinsame als das Trennende betonen“. So werden die gegenseitigen Verfluchungen aus der Vergangenheit entschärft, die Bischöfe mischen sich mit gemeinsamen Aktionen wie der „Woche für das Leben“ oder dem „Sozialwort der Kirchen“ in die politische Diskussion ein. Seit Mitte der achtziger Jahre läuft der „Konziliare Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“; gleich nach dem Leipziger Kirchentag findet im österreichischen Graz die „2. Europäische Ökumenische Versammlung“ statt.
An der Basis funktioniert teilweise sowieso, was die Oberen erst aushandeln wollen. Doch anders als beim „Kirchenvolksbegehren“ von 1996, bei dem die katholische Basis ihrem Unmut über die Diskriminierung der Frau, den Zölibat und die Herrschaft der Hierarchie Luft machte, fehlt für eine ökumenische Bewegung der Leidensdruck: An der Basis geht vieles, was offiziell nicht machbar ist – wobei die theologischen Brocken nicht weggeräumt werden müssen.
Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bestätigen, daß viele „Mißverständnisse“ zwischen den verkrachten Schwestern ausgeräumt sind. „Jetzt geht es ans Eingemachte“, meint EKD-Sprecher Thomas Krüger. Und da rührt sich kaum etwas: Schuld daran ist vor allem die katholische Kirche, die immer noch den Anspruch vertritt, die allumfassende („katholische“) Kirche zu sein, von der die Protestanten sich abgespalten hätten. Eine gleichberechtigte Wiedervereinigung, die ein Nachgeben auf beiden Seiten bedeuten würde, ist in der katholischen Dogmatik nicht vorgesehen. Während die Protestanten die Katholiken zum gemeinsamen Abendmahl einladen, vertritt Rom weiter die Auffassung, der Papst sei das Oberhaupt aller Christen. Und da die katholischen Bischöfe der Bundesrepublik jeden Bruch mit ihren Prinzipien vor dem Papst in Rom verantworten müssen, bleibt kaum Bewegungsspielraum.
Die starre Haltung der Katholiken kritisiert denn auch Andreas Kampmann-Grünewald, Vorsitzender des Bundes der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und ZdK-Mitglied. Die sehr differenzierte theologische Diskussion sei zwar wichtig, habe aber „keine Erdung an der Basis“, so Kampmann-Grünewald. Die katholische Kirche solle mehr darauf achten, was wirklich geglaubt werde, anstatt vorzuschreiben, was geglaubt werden müsse. Denn „viele Leute wissen doch gar nicht mehr, was uns unterscheidet“.
Diese Nivellierung ist dann auch die größte Angst der katholischen Bischöfe bei einem gemeinsamen Kirchentag. Sie schreckt, daß – ähnlich wie bei der Ökumenischen Versammlung 1971 in Augsburg – eine „wilde Abendmahlsgemeinschaft“ ohne Unterscheidung in Katholiken und Protestanten praktiziert wird. Die Protestanten setzen auf öffentliche Diskussionen. Kirchentagspräsidentin Margot Käßmann kündigt ein Signal an: „Wenn das gemeinsame Abendmahl scheitert, werden wir dieses Scheitern zum Thema auf dem Kirchentag machen“. Bernhard Pötter
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