■ Amsterdamer EU-Konferenz: Hat Kohl sich durchgesetzt?
: Symbolischer Sieg für Jospin

Im Fußball ist es ganz leicht: Wer mehr Tore schießt, hat gewonnen. Schon beim Boxen ist es schwieriger: Wer einen K.-o.-Schlag durch die Deckung des Gegners bringt, ist zwar strahlender Sieger, doch Punkteentscheidungen der Ringrichter sind nicht selten diskussionswürdig. Ganz schwer wird es, wenn Europas Staats- und Regierungschefs zu einem Gipfeltreffen zusammenströmen, wie derzeit in Amsterdam. Dann ist die heikle Frage: Wer hat gewonnen? „Kohl setzt sich durch“, titelte gestern die Berliner Zeitung, während die FAZ („Kompromiß“) eher für Remis plädiert, wohingegen die Libération schon im Vorfeld einen französischen Punktesieg konstatierte: „Jospin bekommt von den EU-Partnern das, wonach Chirac und Juppé vergeblich strebten: eine Neugewichtung der Euro-Union, die bisher zu sehr von beinhartem Monetarismus geprägt war.“

Tatsächlich sollte man den sanft lächelnden Franzosen eher glauben als den überlaut „Sieg“ rufenden deutschen Leitartiklern. Sicher: Theo Waigel kann als Erfolg verbuchen, daß keine Beschäftigungsmaßnahmen durch EU-weites deficit spending beschlossen wurden. Doch darum ist es ja gar nicht gegangen, zumal Nachfragestimulierung durch Staatsverschuldung kein emanzipatorisches Projekt ist, bedenkt man den langfristigen Umverteilungseffekt zugunsten derjenigen, die diese Staatsanleihen zeichnen würden. Daß die Europäische Investitionsbank Innovationen und Investitionen mit günstigen, also niedrig verzinsten Krediten fördern soll, konterkariert die monetaristische Linie der Bundesbank. Und dies ist ganz im Sinne der europäischen Sozialdemokraten, die darauf bestanden haben, Beschäftigungsimpulse müßten fürderhin auch von Brüssel ausgehen.

Vor allem aber war Bonn noch vor kurzem fest entschlossen, jede Formulierung, die ein hohes Beschäftigungsniveau auch nur vage zum EU-Ziel erklärt, aus den Verträgen rauszuredigieren. Damit sind Kohl und Waigel vollkommen gescheitert. Das hat einige praktische, vor allem aber wichtige symbolische Bedeutung. Ab nun müssen sich EU-Minister nicht nur über Geldwertstabilität, sondern auch über Arbeitsbeschaffung unterhalten, nicht nur über Zentralbanken, sondern auch über die Zukurzgekommenen. Wer glaubt, solche symbolischen Akzente würden nicht auf die „Realität“ durchschlagen, der hat eine zu schlichte Vorstellung von Politik. Robert Misik

Der Autor ist Deutschland-Korrespondent von „Profil“