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Mission: Impossible?

■ Heute wird in Leipzig der 27. Deutsche Evangelische Kirchentag eröffnet. 120.000 Besucherinnen und Besucher werden bis Sonntag im atheistischen Osten der Republik erwartet. „Auf dem Weg der Gerechtigkeit“ heißt das Motto. Es markiert das Unbehagen der Christen an der Regierungspolitik. Vier Millionen Menschen sind ohne Arbeit, die Konzerngewinne explodieren, und die Bonner Koalitionsparteien scheinen nichts dagegen zu unternehmen. Frühere Kirchentage haben immer wieder politische Fragestellunen ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt – die Friedensbewegung etwa oder die Aussöhnung mit den osteuropäischen Nachbarländern. Der Einfluß des Kirchenvolkes ist größer als der der Bonner Parteien. Schließlich reicht die Wirkung der Debatten auf einem Kirchentag bis weit in das bürgerliche Milieu der Provinz hinein. So gesehen muß die christlich-liberale Koalition eher die Aufbruchstimmung einer solchen christlichen Massenveranstaltung fürchten als einen der Parteitage der Sozialdemokraten.

Wird von heute an in Leipzig massenhaft gefrömmelt? Oder gar der Geist von Weltfestspielen der Jugend beschworen – unter christlichem Signum? Leipzig – fünf Tage lang ein Woodstock der Birkenstock-Träger, zu dem 120.000 Gäste erwartet werden? Natürlich auch. Kirchentage waren schon immer eine Mischung aus Pfadfinderlager, Halleluja und Erweckungsbewegung.

Dieser Kirchentag, der erste nach der Wende, der im neuen Osten der Republik stattfindet, wird ein Seismograph sein für die politische Stimmung im Lande. Nicht umsonst trägt er das Motto: „Auf dem Weg der Gerechtigkeit“. Es formuliert das Unbehagen der Christen an der Bonner Politik. So wirkt schon der Titel wie ein Missionsauftrag. Es ist in erster Linie weltlich inspiriert: Die Politik der sozialen Kälte muß ein Ende haben!

Von allen Kirchentagen sind Signale gesetzt worden, die über kurz oder lang das Arrangement der politischen Kräfte in der Bundesrepublik verändert haben. Die Kirchentage 1963 in Dortmund und 1965 in Köln zur Versöhnung mit den osteuropäischen Ländern haben die spätere Brandtsche Ostpolitik erfolgreich vorbereitet, weil kirchliche Interventionen immer bis weit ins christdemokratische Lager hineinreichen. Die 68er Bewegung bekam spätestens 1969 auf dem Stuttgarter Kirchentag den nötigen Beistand mit einer Fülle von Resolutionen und Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg.

Und als noch niemand an eine Partei wie die Grünen dachte, sprach die evangelische Jugend 1973 in Düsseldorf darüber, daß der Mensch „Nicht vom Brot allein“ lebe. Auch der Dialog mit Israel wurde von den evangelischen Kirchen vorbereitet. 1958 wurde aus ihren Reihen die „Aktion Sühnezeichen“ gegründet.

Anfang der achtziger Jahre bekam die Bewegung gegen die Nato-Nachrüstung ihren entscheidenden Kick durch die Friedensdemonstration auf dem Hamburger Kirchentag. Bis in die politische Mitte hinein gilt seither als akzeptiert, daß internationale Konflikte nicht mit militärischen Mitteln gelöst werden dürfen. Und nicht zuletzt sind es vor allem die Christen der evangelischen Kirchen, die seit Jahren hartnäckig Möglichkeiten alternativer Lebensformen diskutieren – wie kürzlich die Nordelbische Kirche, die bekannte, Kirche trage Mitschuld an der Diskriminierung von Homosexuellen.

Auf Kirchentagen wird um Themen gestritten, die später in den moralischen Konsens der Bundesrepublik einsickern. Dort wurde die Zivilisierung vorweggedacht – weil dort nicht nur städtisches Publikum teilnimmt, sondern auch Menschen aus der Provinz, die, wieder nach Hause gekommen, die fremden Ideen und Ansätze weitergeben. Daß nun das Thema Gerechtigkeit im Mittelpunkt dieser Tage in Leipzig steht, ist kein Zufall. Schon im Februar veröffentlichten Katholiken und Protestanten gemeinsam ihr „Sozialwort der Kirchen“. Es war ein moderat, aber deutlich formulierter Sündenkatalog der Bundesregierung. Sie verantworte eine Politik, die immer mehr Menschen in Armut stößt; sie unterwerfe alles der Logik des Geldes, die mit Verweis auf den Weltmarkt hierzulande verwüstete Landstriche hinterläßt und Menschen in Perspektivlosigkeit treibt.

Das Resümee der an der kirchlichen Basis gesammelten Erfahrung: Diese Politik zerstört das Gemeinwohl. Insofern ist dieser Kirchentag für die Bonner Regierung gefährlicher als jeder SPD-Parteitag. Hier könnte gut ein Jahr vor den Bundestagswahlen ein Konsens über die Ablösung der jetzigen Regierung in Bonn begründet werden. Diese Mission könnte den Protestanten gelingen. Jan Feddersen Der Kirchentag: Seiten 15 bis 22

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