■ Querspalte: Tauben und Spatzen
Früher fand man Tauben prima. Sie wurden als Seelentiere und als Prinzip des Weiblichen verehrt. Im Alten Testament werden sie als Liebessymbol gefeiert: „Schön bist du, deine Augen sind wie Taubenaugen“, heißt es, und: „Seine Augen sind wie Tauben an den Wasserbächen.“ Mittlerweile hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Vor allem im Großstadtsommer. Im Sommer wird Berlin von Tauben regiert. In den Blumenkästen vor den Fenstern hocken die „Rennpferde des kleinen Mannes“ und knabbern an den Sachen, die da stehen. Morgens sitzen sie auf dem Küchentisch, flattern hektisch im Zimmer umher, stoßen sich einfältig, wie Tauben nun mal sind, an Wänden und Spiegeln und hinterlassen dabei Federn, Dreck und Blutspuren.
Tauben sind dumm; deshalb rutschen sie im Badezimmer in der Badewanne aus. Das sieht nicht schön aus, denn Großstadttauben haben oft appe Füße. Manche liegen auch zuckend im Hinterhof. Oft bevölkern die „Ratten der Lüfte“ auch die Cafétische, dann versucht man sie mit Erdnüssen zu vergiften. Doch die Taube frißt alles, wird immer fetter und platzt doch nie. Daß der kommunistische Weltkongreß 1949 die Taube zu seinem Sinnbild erkor, deutete schon auf den späteren Niedergang der Linken.
Dieser Tage hat nun eine CDU-nahe „Bürgerinitiative zur Rettung des Stadtbildes“ den Wettbewerb „Dreckspatz 1997“ ausgeschrieben, bei dem ausgezeichnet werden soll, wer „sich besonders als Stadtbeschmutzer oder als Lobbyist von Wandschmiererei und Vandalismus hervortut“. Abgesehen davon, daß das schlechteste Graffito wenigstens noch Lebenszeichen inmitten der Werbeoberflächen der Stadt ist, abgesehen davon, daß der Spatz ein sehr sympathischer Gesell und Freund aller Kinder ist, abgesehen von der notorischen Analfixiertheit der Rechten, wäre es recht witzig, die Taube als Dreckspatz des Jahres auszuzeichnen. Was übrigens als halbverunglückte Pointe die Taube, die mir neugierig beim Schreiben zuschaut, wieder sympathisch macht. Detlef Kuhlbrodt
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