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Helmut Kohl bremst die europäische Einigung

■ Mit Mühe und Not einigen sich Europas Regierungen auf einen neuen EU-Vertrag. Der Kanzler blockiert Initiativen, das Vetorecht einzelner Länder einzuschränken

Amsterdam (rtr/taz) – Der Himmel über Amsterdam wurde schon langsam hell, als die europäischen Staats- und Regierungschefs sich nach 17 Stunden Verhandlungen auf den Vertrag von Amsterdam geeinigt hatten. Damit soll die Europäische Union im Hinblick auf ihre bevorstehende Erweiterung reformiert werden. Doch Begeisterung stellte sich nicht ein: Nach den mühsamen Kompromissen der Nacht waren selbst die Gipfelteilnehmer von ihrem Reformwerk nicht rückhaltlos überzeugt. An den schwierigsten Punkten ist der Gipfel gescheitert.

„Beim Vertrag haben wir Fortschritte gemacht – aber nicht soviel, wie wir erhofften“, sagte Italiens Ministerpräsident Romano Prodi gestern früh. „Er geht nicht so weit, wie wir es für nötig hielten.“ Eigentlich hatte die Reform jetzt nämlich die Vorkehrungen dafür treffen sollen, daß die Europäische Union auch mit 20 oder 25 Mitgliedern noch handlungsfähig ist. Dafür sollten die EU-Institutionen reformiert und das Prinzip der Einstimmigkeit auf die wichtigsten Fragen beschränkt werden. Doch schon die 15 Mitgliedsstaaten von heute konnten sich nicht auf Einschränkungen ihrer Macht verständigen.

In dieser Frage erwies sich Bundeskanzler Helmut Kohl als wichtigster Blockierer: Die Delegationen der anderen EU- Staaten vermerkten mit Erstaunen, daß gerade die Bundesregierung, die stets eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen gefordert hatte, nun die Bremse zog. Kohl setzte zunächst durch, daß es in der Asylpolitik bei einstimmigen Entscheidungen bleibt. Im Verlauf der Nacht blockierte er dann auch fast alle anderen Vorschläge, wo das Vetorecht der Einzelstaaten eingeschränkt werden könnte. Damit wird es weder in der Umweltpolitik noch in der Industrie- oder Sozialpolitik mehr Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit geben. „Deutschland“, meinte Frankreichs Außenminister Hubert Vedrine, „hat heute Probleme, die es früher nicht kannte. Kanzler Kohl hat vielleicht nicht mehr denselben Spielraum wie in früheren Jahren.“ Berichte Seite 9

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