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Todesschütze soll ungestraft davonkommen

■ Staatsanwalt fordert Freispruch für den Polizisten, der 1994 in Hannover einen 16jährigen Kurden erschoß. Nebenklage spricht von behinderten Ermittlungen

Hannover (taz) – Ohne Strafe bleiben soll nach dem Willen der hannoverschen Staatsanwaltschaft der 30jährige Polizist Klaus T., der am 30. Juni 1994 den 16jährigen Kurden Halim Dener durch einen Nahschuß in den Rücken getötet hat. Wie die Verteidigung plädierte vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover gestern auch Anklagevertreter Nikolaus Borchers auf Freispruch für den Beamten des Sondereinsatzkommandos (SEK), der seinerzeit den kurdischen Jugendlichen beim Plakatkleben erwischt und ihn im Zuge einer Verfolgungsjagd erschossen hat.

In seinem Plädoyer bezeichnete Borchers den Angeklagten als „überfordert“ und folgte ganz dessen Darstellung des Tathergangs. Zum Zeitpunkt der Abgabe des tödlichen Schusses habe der Polizist versucht, den Jugendlichen festzuhalten und die Waffe in sein Holter zu stecken, die ihm heruntergefallen war.

Der Anwalt der Eltern des Opfers, Hans-Eberhard Schultz, warf gestern den Ermittlungsbehörden vor, die Aufklärung der Tat systematisch behindert zu haben. So sei gegen alle Ermittlungsregeln der Schütze nicht sofort nach der Tat vernommen worden, sondern habe zunächst stundenlang mit SEK-Polizisten die Tat besprochen. Dieselben Beamten hätten später als Zeugen ausgesagt. Durch Händewaschen habe der Angeklagte überdies Schmauchspuren entfernen können. Auch die Patronenhülse, die gefunden wurde, sei im Laufe des Verfahrens verschwunden.

Das Gericht hat in den Augen des Nebenklagevertreters die Beweisaufnahme viel zu früh beendet. In elf Verhandlungstagen sei die Tatversion des Angeklagten zwar durch drei Zeugenaussagen und einen Gutachter klar widerlegt worden, doch den wirklichen Tathergang habe man nicht aufklären können.

Vor den Plädoyers hatte der Schußsachverständige Dr. Christian Schyma eine unwillkürliche Schußabgabe unter den von dem Angeklagten geschilderten Umständen nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen. Schyma stützte sich dabei auf Experimente, die er in Nordrhein-Westfalen mit 21 Polizisten durchgeführt hatte. Durch einen Sturz oder ein Stolpern kann sich nach Schymas Auffassung nur dann ein Schuß aus der Tatwaffe lösen, wenn deren Hahn schon vorgespannt und diese entsichert ist. Ein anderer Sachverständiger für Sensomotorik, den die Staatsanwaltschaft eingeschaltet hatte und der in Hannover SEK- Beamte ausbildet, vertrat dagegen die – keinesfalls beruhigende – Auffassung, daß unter Streß eine unwillkürliche Schußabgabe durchaus möglich sei. Jürgen Voges

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