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Genetische Wahrsagerei

Ein positiver Gentest allein ist noch lange kein Grund zur Amputation der Brüste  ■ Von Karin Bundschuh

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht die Entdeckung eines neuen Gens vermeldet wird. Das eine macht angeblich homosexuell, das andere verursacht eine tödliche Krankheit. Und Laien wie Wissenschaftler knüpfen an das neue Wissen jedesmal große Hoffnungen. Ruck, zuck wird ein Gentest entwickelt, der helfen soll, den Defekt aufzustöbern. Denn der Glaube wurzelt tief, daß mit der Entdeckung von genetischen Schäden Krankheiten leichter zu beherrschen sind. Geradezu frenetisch feierte man in den vergangenen Jahren die Entdeckung der Brustkrebsgene BRCA 1 und BRCA 2. Doch die Forscher ernüchtern langsam. Drei Studien, die das New England Journal of Medicine jetzt veröffentlicht hat, lassen vermuten, daß die beiden Gene in weit geringerem Maße an der Entstehung von erblichem Brustkrebs beteiligt sind, als bisher angenommen wurde.

Die BRCA-Gene zählen zu den „Tumorsupressor“-Genen, die den Körper vor Krebs schützen, indem sie unplanmäßige Zellteilungen verhindern. Bisher glaubten die meisten Experten, daß bestimmte Veränderungen, sogenannte Mutationen, in den beiden Genen die Zellteilungsbremse lösen und daß dann nahezu zwangsläufig Brustkrebs entsteht. Das Risiko der Betroffenen veranschlagten die Genetiker auf 85 Prozent.

Jeffery Struewing vom National Cancer Institute der Vereinigten Staaten kommt nun in einer Studie gemeinsam mit sieben weiteren Forschern zu dem Ergebnis, daß man die Gefahr, die von den Mutationen ausgeht, deutlich überschätzt hat. Struewings Team hat Frauen untersucht, die aus sogenannten Hochrisiko-Familien stammen und in deren Erbgut sie zudem Veränderungen der BRCA-Gene nachgewiesen hatten. Die Wissenschaftler überprüften anhand der Familiengeschichten, wie häufig die Betroffenen tatsächlich erkrankt waren. Ihr Ergebnis: Das Risiko, vor dem 70. Lebensjahr an Brustkrebs zu erkranken, liegt bei „nur“ 56 Prozent.

Um die Aussagekraft der BRCA-Gentests scheint es insgesamt schlecht gestellt. Fergus Couch und seine Kollegen von der Universität Pennsylvania haben nämlich festgestellt, daß bei nur 16 Prozent der Frauen, die sie untersucht hatten, Veränderungen im BRCA-1-Gen nachzuweisen waren. Und dies, obwohl alle Frauen aus Familien stammten, in denen auffällig viele Brust- und Eierstockkrebserkrankungen vorgekommen waren. Kamen die Frauen aus einer Hochrisiko-Familie nur für Brustkrebs, dann zeigten sich sogar bei nur 7 Prozent von ihnen auffällige Veränderungen.

Bisher hatte man angenommen, daß bei knapp der Hälfte aller vererbten Brustkrebserkrankungen die BRCA-1-Gene verändert sind. Nahezu doppelt so groß schätzte man die Zahl bei Patientinnen, die an gekoppelt vererbtem Brust- und Eierstockkrebs leiden: nämlich auf 80 bis 90 Prozent. Da diese Zahlen zumindest vorerst widerlegt scheinen, urteilt Couch denn auch, daß die Mehrzahl der BRCA-1-Tests „wenig aussagekräftig“ sei. Bernadine Healy von der Ohio State University kommentiert die Ergebnisse noch harscher. Die Interpretation von BRCA-Gentests grenzt ihrer Ansicht nach an Wahrsagerei – zumindest zur Zeit. Kein Wunder also, daß die genauso provokante wie angesehene Wissenschaftlerin eindringlich davor warnt, Frauen alleine aufgrund eines positiven BRCA-Gentests zur „vorbeugenden“ Abnahme der Brüste zu raten. In den USA hatten Ärzte diesen massiven Eingriff in den vergangenen Jahren ausdrücklich empfohlen, wenn sie auf Mutationen in den BRCA-Genen einer Patientin gestoßen waren.

Diese Haltung, die auch die Niederländer vertreten, hatte beim Gros der deutschen Spezialisten Befremden hervorgerufen. Immer wieder verwiesen sie darauf, daß noch zu vieles unklar sei, als daß man den Frauen guten Gewissens zur Entfernung ihrer Büste raten könne. Außerdem habe, wie Marion Kiechle von der Universitätsfrauenklinik Kiel betont, „noch keine klinische Studie zeigen können, daß die Patientinnen von einer Brustamputation auch tatsächlich profitieren“. Denn egal wie radikal der Chirurg operiere, es bleibe immer Brustdrüsengewebe im Körper zurück.

Den gerade veröffentlichten Studien bescheinigt Claus Bartram von der Humangenetischen Universitätsklinik eine „sehr hohe Qualität“. Sie reflektierten „eine gesunde Skepsis“ und untermauerten die vorsichtige Haltung der deutschen Wissenschaftler. Trotzdem bleibt die Frage offen, was der Mensch mit dem Wissen um die BRCA- Gene anfangen kann. Für Bartram gibt es nur eine Antwort: weiterforschen. Als erstes müsse man herausfinden, welche der vielen Mutationen, die man auf den beiden Tumorsupressor-Genen gefunden hat, Brustkrebs auslösen und welche nicht. Bisher ist nicht geklärt, ob tatsächlich alle Mutationen den Menschen krank machen.

Die klaffenden Wissenslücken entheben Ärzte aber nicht der Aufgabe, heute schon Frauen zu beraten, in deren Familie Brustkrebs gehäuft auftritt. Und die neuen Erkenntnisse machen es ihnen nicht leichter, diese Herausforderung zu meistern. Für Bartram kommt eine BRCA-Genanalyse dann in Frage, wenn mindestens zwei ihrer Verwandten ersten oder zweiten Grades vor dem 50. Lebensjahr an Brustkrebs erkrankt sind und wenn die Ärzte bei einer dieser Patientinnen BRCA- Mutationen gefunden haben. Außerdem muß die Ratsuchende mindestens 18 Jahre alt sein. Zu einer guten Beratung gehört jedoch weit mehr. „Die Patientin muß mindestens ein Gespräch mit einem Spezialisten in der Humangenetik und ein Gespräch mit einem Gynäkologen in der Frauenklinik führen“, verlangt Bartram. Überdies müsse man der Betroffenen eine psychosomatische Beratung anbieten. Danach müsse man noch einmal überlegen, ob es sinnvoll ist, nach genetischen Veränderungen zu schauen. Erst dann dürfe man testen.

Findet der Humangenetiker Mutationen, dann muß der Patientin ein intensives Vorsorgeprogramm angeboten werden. Sie sollte sich alle sechs Monate ärztlich untersuchen lassen, und einmal im Jahr sollte eine Mammographie vorgenommen werden. Dabei handelt es sich um ein spezielles Röntgenverfahren zur Darstellung der Brust. „Eine Entfernung der Brüste kommt als letzte Konsequenz und nur dann in Frage, wenn eine Frau auf dieser Operation besteht. Das kann passieren, wenn sie miterlebt hat, wie drei Verwandte mit Mitte Dreißig gestorben sind“, befindet Bartram. Sie wird allerdings nicht sicher wissen, ob sie ihre Brüste nicht umsonst geopfert hat.

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