■ Türkei: Das Schattenkabinett der Generäle erhält die Macht
: Vorläufig wird nicht geputscht

Die Beauftragung des Oppositionspolitikers Mesut Yilmaz mit der Regierungsbildung in der Türkei ist der letzte Versuch, die islamistische Wohlfahrtspartei aus dem Zentrum der Politik zu verbannen, ohne daß die Militärs, die bereits mit einem Putsch drohten, zum endgültigen Schlag ausholen. Die Allparteienregierung der „nationalen Verständigung“ unter Ausschluß der Wohlfahrtspartei, die Yilmaz anstrebt, ist ein mehr oder minder parlamentarisch verpacktes Kabinett im Schatten der Generäle. Bis zu den Neuwahlen, die Yilmaz für Frühjahr 1998 plant, wird auch das Verfassungsgericht über den Verbotsantrag gegen die Wohlfahrtspartei Erbakans entschieden haben. Ob das Spiel aufgeht, ist allerdings fraglich.

Störfaktor ist einmal mehr die Politikerin Tansu Çiller. Sie hatte ganz sicher damit gerechnet, daß sie im Rotationsverfahren die Ministerpräsidentschaft von Erbakan übernimmt. Einmal von der Macht weggedrängt, riskiert Çiller nicht nur ihre politische Karriere. Eine Prozeßflut wegen Korruption und Verwicklungen in die Drogenmafia erwartet sie. Sie ist auf Gedeih und Verderb auf die Kooperation mit den Islamisten angewiesen. Dies erklärt ihre haßerfüllten Tiraden gegen Staatspräsident Süleyman Demirel, nachdem Yilmaz den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt. Çiller spricht vom „Putsch des Präsidentenpalais“, vom „Schlag gegen die Demokratie“.

Die Politikerin, die sich in der Vergangenheit in den Schoß der Generäle legte, spielt sich heute als Märtyrerin der Demokratie auf. Ob sie es schafft, ihre Fraktion, die sich im Auflösungsprozeß befindet, zusammenzuhalten, und ob sie verhindern kann, daß Dissidenten in der Partei der Regierung Yilmaz das Vertrauen aussprechen, wird sich noch herausstellen. Abgeordnete seien käuflich, und beide Konfliktparteien versuchten mit Geldsummen Stimmen bei der Vertrauensabstimmung zu sichern, heißt es in Presseberichten.

Mit solchem Kleinkram geben sich die Militärs nicht ab. Sie halten sich im Hintergrund und beobachten die Entwicklung. Natürlich ist es ihnen recht, wenn die Regierung Yilmaz bestätigt wird und sie das Gespann Erbakan-Çiller parlamentarisch losgeworden sind. Die Generäle haben die Leitlinien formuliert und den Kurs bestimmt. Verfehlen die bürgerlichen Politiker das Planziel, stehen den Generalstabsstrategen andere Instrumente zur Verfügung. Ömer Erzeren