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Undankbare Vordenker

Britische linke Intellektuelle beurteilen Blair kritisch  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Die Stimmung in Großbritannien ist merkwürdig, sagt James Donald: Es herrsche Euphorie, daß man die Tories endlich los sei, aber man frage sich mit Bangen, was „die anderen“ wohl machen werden. „Die anderen“ – das ist die neue Labour-Regierung, und sie war Thema einer Konferenz an der Londoner City-Universität am Samstag. Der Titel: „Kritische Massen: Öffentliche Politik und New Labour.“

James Donald, Medienwissenschaftler von der Universität Sussex, war einer von 40 Dozenten, die Themen wie Modernisierung, Globalisierung, demokratische Veränderungen und Thatchers Kinder abhandelten. Organisiert wurde die Konferenz von „Signs of the Times“, einem unabhängigen linken Seminarzirkel, der sich vor fünf Jahren zusammengefunden hat, um einen Rahmen zu bieten „für intellektuelle Debatten und für die Entwicklung einer theoretischen Analyse, die normalerweise auf Universitäten beschränkt ist, und darüber hinaus Kontakte zwischen politischen und akademischen Zirkeln herzustellen“.

Auf dieser vierten Konferenz von Signs of the Times sollte alles anders sein: „Die Konferenz eröffnet eine neue Phase für unsere Gruppe, weil wir nun nach einem Sieg – und nicht wie bisher nach einer Niederlage – unsere Analyse und Strategie entwickeln können“, heißt es im Konferenzpapier. „Um uns herum herrscht Hoffnung und nicht mehr länger Verzweiflung.“

Gesponsert wurde die Konferenz von der Zeitschrift New Statesman, die bedingungslos hinter Blair steht. Das zeigte sich auch an den zahlreichen Büchertischen: Zugelassen waren nur Blair-Fanzines – am peinlichsten das „Sammlerexemplar“ des New Statesman nach der Wahl, mit einer 47seitigen Blair-Fotostory und einem Lob auf „unseren besten Premierminister seit Churchill“. Das Motto des Heftes hatte man von Kipling geborgt: „Die Morgendämmerung zieht wie ein Donnergrollen auf.“

Zum Glück kamen die Referenten nicht nur aus dem Blair-Lager. Anthony Giddens, Soziologe und Direktor der renommierten London School of Economics, weiß noch nicht genau, was er von der neuen Regierung zu halten hat. In seinem Eröffnungsvortrag warnte er, daß New Labour in Flügelkämpfe zerfallen und zur allgemeinen Ernüchterung führen könne. Doch noch überwiegt sein Optimismus, daß Blair nicht nur in Großbritannien, sondern weit darüber hinaus eine Phase der Demokratisierung einleiten kann. „Globalisierung beherrscht unser Leben“, sagte er. „Und dabei geht es nicht nur um die Konkurrenz der Weltmärkte, sondern um das tägliche Leben. Wir lernen, uns an eine globale, kosmopolitische Gesellschaft anzupassen, die unsere Institutionen erschüttert – von der Ehe und Familie bis hin zum Nationalstaat.“

Der Journalist Ken Warpole dringt auf die „Zurückeroberung öffentlicher Räume“. Er wirft der Labour Party vor, daß sie die ökologische Basisbewegung „Reclaiming The Streets“ zum Kampf gegen den wuchernden Autoverkehr in einen Kampf gegen jugendliche Windschutzscheibenputzer umgewandelt habe. Auch Greg Philo von der Glasgow Media Group wirft Premierminister Blair vor, daß er das Vermächtnis der Konservativen unangetastet läßt. „Die Tories haben eine Politik der Umverteilung nach oben betrieben“, sagt er. Das habe sowohl zu höherer Arbeitslosigkeit als auch zu erhöhtem Streß am Arbeitsplatz geführt. Die Selbstmordrate und die Verbrechensquote hätten sich unter den Tories mehr als verdoppelt, Not und Armut ebenfalls drastisch zugenommen. Unter Labour, so fürchtet Philo, seien die Aussichten auf Veränderung nicht besser als unter den Tories.

Pat Kane, Musiker von „Hue and Cry“, findet das auch. Blairs Arbeitsethik, die darauf ausgerichtet ist, Arbeitslose und alleinerziehende Mütter zur Annahme auch der miesesten Jobs zu verpflichten, werde eine Gegenkultur auslösen, die sich nicht nur von Labour, sondern von der Politik allgemein immer weiter entferne.

Das sei längst geschehen, meint Katie Wharton, eine 16jährige Schülerin, die auf der Konferenz die erste Rede ihres Lebens hielt. Sie nennt sich ein Kind der freien Marktgesellschaft. Jeden Tag habe sie die Wahl zwischen Tausenden Produkten, die auf ihre Generation zugeschnitten seien. Die Politik dagegen sei in den sechziger Jahren stehengeblieben, als es „nur einen Fernsehsender und eine schmale Produktpalette“ gab. In der offiziellen Politik sieht sie sich und ihre Generation nicht repräsentiert.

Suzanne Moore, Kolumnistin beim Independent, glaubt ebenfalls nicht, daß das Unterhaus die britische Gesellschaft repräsentiert. „Soll ich Labour etwa dafür dankbar sein“, fragte sie, „daß es nun ein kleines bißchen weniger Ungleichheit gibt, weil nun ein paar mehr Frauen, Homosexuelle und Schwarze im Unterhaus sitzen?“ Als Blair sich im Kreis der weiblichen Labour-Abgeordneten, den „Blair-Babes“, fotografieren ließ, habe er sie an den Playboy-Herausgeber Hugh Hefner erinnert. Moore findet, daß sie auch nach dem Machtwechsel immer noch zur Opposition gehört.

Das Publikum, überwiegend Leute unter 30, ist optimistischer. In der abschließenden Diskussion bemerkt eine junge Frau: „Ich dachte, nach 18 Jahren hättet ihr die Schnauze voll von Opposition. Labour hat doch in der kurzen Amtszeit schon einiges geleistet. Kann man da nicht etwas positiver an die Sache herangehen?“

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