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Singendes Gedächtnis

■ Die Algerierin Assia Djebar stellt einen Roman und einen Film in Hamburg vor

Assia Djebar verkehrte früh in Elitekreisen der westeuropäischen Intelligenzia, ist aber bis heute gläubige Mohammedanerin geblieben. In ihrem Buch Fern von Medina begab sich die 1936 geborene Autorin auf Spurensuche nach Frauen in frühen islamischen Chroniken. Sie haucht den Vergessenen neues Leben ein, nutzt die zumeist spärliche Überlieferung zu fiktionalen Ausweitungen. Der Prophet Mohammed begegnet den Frauen in diesen Texten als väterlicher Freund und Liebhaber in einer Person.

Virtuos montiert Assia Djebar in ihren weiteren Romanen Alltagseindrücke mit der politischen Geschichte ihres Landes. Passagenweise fließen bilderreiche Bewußtseinsströme durch den Text und stellen eine unverstellte Nähe zum weiblichen Körper her. Jedes ihrer Werke kann als Plädoyer für eine erfüllte Erotik gelesen werden.

In ihrem Roman Die Schattenkönigin beispielsweise ist von einer wundersamen Dreierkonstellation die Rede: Die freizügige Hajila wählt die im Umschlagtuch verhüllte Isma zur Nebenfrau ihres Mannes, um den Ehemann zu einem Geliebten und die Schleiertragende zu einer Befreiten zu machen.

Auch ihr Roman Weit ist mein Gefängnis folgt dieser Linie: er berichtet von den Gefühlen einer 37jährigen Algerierin, die sich in einen jüngeren Berber verliebt. Unerlaubte Geständnisse und die Angst vor der Entdeckung lasten auf ihr. Der Roman wird im Herbst auf Deutsch erscheinen.

Djebar verwendet das Französische als Literatursprache, da ihr die arabische Schriftsprache von männlichen Ideen besetzt erscheint. In zwei Filmen gelang ihr etwas, das ihr auf dem Papier nicht gelingen wollte: arabische Werke zu schaffen. Hier konnte sie sich in vielen Sprachen ausdrücken: der Sprache des Körpers, des Tanzes, in arabischen und berberischen Dialekten.

In La Zerde und die Gesänge des Vergessens konzentriert sich Djebar auf die Rolle algerischer Frauen während der Kolonialzeit. Kunstvoll montiert sie ausgelagertes Ton- und Bildmaterial, das ürsprünglich für französische Wochenschauen bestimmt war, und versucht, neue Lesarten und verborgene Inhalte zum Vorschein zu bringen.

Stefan Pröhl

Lesung: heute, Katholische Akademie, Herrengraben 4, 19 Uhr; Filmvorführung, La Zerde, 25.6., Metropolis, 19 Uhr.

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