: Kritik an Vorverurteilung wegen Kinderpornos
■ Schwere Vorwürfe an die französische Justiz nach dem vierten Selbstmord
Paris (AP) – Nach dem Selbstmord von vier Tatverdächtigen ist in Frankreich an der jüngsten Großrazzia der Polizei gegen einen Kinderporno-Ring Kritik lautgeworden. Die Familie eines Lehrers, der sich am Wochenende in den Tod gestürzt hatte, kündigte gestern Klage gegen die Behörden an. Justizministerin Elisabeth Guigou erklärte, sie stehe zwar grundsätzlich hinter dem Vorgehen der Polizei, frage sich aber, ob solche Aktionen immer so medienwirksam durchgeführt werden müßten. Sie glaube nicht, daß das für die Ermittlungen hilfreich sei.
Der 39jährige Lehrer, bei dem bei der Operation „Ado 71“ Fotos von nackten Kindern gefunden worden sein sollen, hatte sich am Samstag in Bordeaux von einer Brücke gestürzt. Gegen ihn waren in der vergangenen Woche Ermittlungen eingeleitet worden wegen des Besitzes kinderpornographischer Bilder und der Ausnutzung Minderjähriger. Ihm wurde untersagt, bis zur Klärung der Tatbestände mit Kindern zu arbeiten.
Der von seiner Mutter und Schwester beauftragte Anwalt erklärte, die Behörden hätten zugelassen, daß Informationen über den Fall an die Öffentlichkeit gedrungen seien. Nichts rechtfertige eine derartige Vorverurteilung, bevor ein ordentliches Gericht über Schuld oder Unschuld des Verdächtigen entschieden habe. Der Lehrer habe nichts mit Kinderpornographie zu tun.
Am Donnerstag hatten bereits drei Menschen Selbstmord begangen, gegen die im Zusammenhang mit „Ado 71“ Ermittlungen eingeleitet worden waren. Bei der Großrazzia Mitte vergangener Woche stießen die Fahnder auf 209 Verdächtige, 18 davon, darunter der mutmaßliche Chef des Kinderporno-Rings, sind in Haft.
Der Präsident der Liga für Menschenrechte, Henri Leclerc, kritisierte die Reaktionen der Öffentlichkeit nach der Polizeiaktion, er übte aber auch Kritik an der Justiz. Sie habe die Pflicht, sich nicht von den Gefühlen der Öffentlichkeit mitreißen zu lassen. „Sie muß ein Ersatz sein für Lynchjustiz“, sagte er der Zeitung Libération.
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