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Wenn doch der Adenauer noch wäre

Vor sechs Jahren stimmte der Bundestag für den Umzug nach Berlin. In der alten Hauptstadt wird der Bürgerbund nicht müde, gegen den Beschluß zu demonstrieren. Und fühlt sich verspottet  ■ Aus Bonn Severin Weiland

Trotzig empfängt Bonn seine Besucher. Im Bahnhof über dem Eingangsportal hängt ein Schild. „Bundesstadt Bonn“ steht da. Nicht mehr Hauptstadt, das wäre ja vermessen und juristisch anfechtbar. Schließlich ist Bonn, seit sich der Bundestag vor sechs Jahren für Berlin entschied, nur noch Regierungssitz auf Abruf. 1999 sollen Beamte, Abgeordnete und Ministerien nach Berlin ziehen.

Die Stadtoberen haben sich in das Unvermeidliche gefügt, die SPD-Oberbürgermeisterin Barbara Dieckmann beschwört allenthalben die Chancen der Stadt als Zentrum für UN- und andere internationale Organisationen. Nur rund hundert Trotzköpfe wollen nicht einsehen, daß Bonn an die Spree zieht. Bürger Bund Bonn (BBB) heißt die Vereinigung, die auf das Schild am Bahnhof am liebsten sofort wieder „Bundeshauptstadt“ schreiben würde. Johannes Gröner ist Allgemeinmediziner und Vorsitzender des Bürgerbundes. Gegen Berliner habe er nichts. Eigentlich. Aber müssen sie denn ausgerechnet wieder Hauptstädter spielen? „Wissen Sie, da ist diese Mentalität der Preußen, diese Überheblichkeit, die wird irgendwann wieder durchschlagen.“

Seit sechs Jahren demonstrieren die Umzugsgegner, unter ihnen der Bürgerbund, gegen den „Hauptstadtwahn Berlin“, anfangs noch wöchentlich, später mit immer größeren Pausen. Aufgegeben aber haben sie nicht, „das verlangt schon unsere Selbstachtung“, sagt Gröner. Manches, was der Bürgerbund inszeniert hat, könnte dem linksextremen Fundus entnommen sein. Etwa jenes Transparent, das man vor geraumer Zeit vor dem Bonner Haus der Geschichte entrollte: „Großdeutschland braucht Berlin, Europa braucht Bonn“. Oder jener Brief in einer ihrer Broschüren, in dem Adolf Hitler den Umbau Berlins zur Reichshauptstadt Germania anordnet. Das sei, sagt Gröner, sicherlich „sehr provokativ“, aber eben auch sehr medienwirksam.

Die Demonstranten, die sich an diesem 20. Juni auf dem Bonner Marktplatz zur 132. Demonstration versammelt haben, sehen eigentlich nicht danach aus, als wollten sie provozieren. Kein schwarzes Outfit, keine Haßkappen, statt dessen gutsituierte Mittelständler: Ärzte, Beamte, Professoren, Unternehmer. Manche waren bei der CDU, einige bei der FDP, bevor sie ihre Parteien aus Enttäuschung über den Umzugsbeschluß verließen.

Daß an der Entscheidung nicht zu rütteln ist, weiß auch Bürgerbund-Vorsitzender Gröner. 2,4 Milliarden Mark erhalte Bonn als Ausgleich, so schlimm werde es schon nicht werden, schätzt er. Die Politiker aber, die bedrohten die ganze Republik. Was das alles koste, wird immer und immer wieder auf dem Podium vorgerechnet. Nie und nimmer bleibe es bei den 20 Milliarden für Umzug und Neubau in Berlin, sagt ein Mann. So wird denn auf dem Bonner Marktplatz ausgiebig geschimpft: auf Kohl, auf Schäuble, auf Finanzminister Waigel, auf die Verschwendungssucht im allgemeinen und den teuren Schürmann-Bau im besonderen, der als Ruine am Rheinufer das Ende der Hauptstadt Bonn vortrefflich symbolisiert. „Es wird gelogen und betrogen, mit dem Umzugsbeschluß wurde ja auch kräftig getrickst“, sagt die 65jährige Christa Tupetz. Sie gilt als Mutter des Bürgerbundes, hat 25 Jahre der FDP angehört und sieht nun „unsere Bundesrepublik den Bach runtergehen“. Etwa 100 Zuhörer vor dem Bonner Rathaus applaudieren, eine ebenso große Zahl in den Straßencafés links und rechts des Platzes blickt eher amüsiert drein. Die Rheinland-Partei, die unterm Sonnenschirm ihr Werbematerial anpreist, hat natürlich auch wenig für Berlin übrig. Der Vorsitzende Hermann Gebertz, ein Journalist, erinnert in seiner Rede ausgiebig an Konrad Adenauer und dessen Plädoyer für Europa. Wozu, fragt sich Gebertz, einst Mitglied der CDU, soll Berlin in einem vereinten Europa denn noch gut sein?

Ja, wenn der Rheinländer Adenauer noch wäre, so scheint mancher der Zuhörer hier zu denken. Der hat Bonn 1949 per Fingerzeig zur Hauptstadt gemacht. Der erste Kanzler dieser Republik ist zwar schon lange unter der Erde. Mit seinem Namen aber läßt sich immer noch trefflich gegen Berlin streiten. Immerhin sprach Adenauers Enkel Georg im Juli 1993 auf dem Bonner Marktplatz und wetterte gegen die unkalkulierbaren Kosten des Umzugs.

Die Streiter des Bürgerbundes, sie wissen, daß sie schon lange nicht mehr ernst genommen werden. Der Bonner General-Anzeiger vermeldet zwar noch immer brav ihre Presseerklärungen, die Stadt aber hat andere Sorgen. Das wurmt die Bonn-Streiter gewaltig. Man fühlt sich mißverstanden, ausgegrenzt und dem Hohn preisgegeben. Gröner vermutet gar eine gezielte Absprache der „Medienkartelle“ und verweist auf eine Tabelle, wo alle Umfrageergebnisse renommierter Meinungsforschungsinstitute verzeichnet sind. Danach ist eine Mehrheit der Bundesbürger gegen den Umzug.

„Es geht uns nicht um kleinkarierte Kommunalpolitik, sondern um die Zukunft unserer Republik“, verteidigt Hansheinz Schneider, Unternehmer und einst in der Mittelstandsvereinigung der CDU, sein Engagement. Medizinprofessor Heinz Schott sieht die Sache ähnlich. Der Pfälzer ist seit zehn Jahren in Bonn und besucht Berlin sehr gerne, wie er beteuert. Nur: Er habe Angst vor dem Ende der Bonner Republik, man wisse „ja nie, wie schnell sich die Dinge in Deutschland wieder ändern können“. Berlin, so sagt er, Berlin braucht uns als Steuerzahler, wir aber brauchen Berlin nicht. Da applaudiert die Hundertschaft auf dem Bonner Marktplatz. Und siehe da, selbst aus den Cafés klatschen einige mit.

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