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Die Staatsregierung hat sich verrechnet. Abtreibungskliniken dürfen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorerst weiter betrieben werden. Dabei hatten die Bayern den Gesetzestext in Karlsruhe entliehen Aus Karlsruhe Christian Rath

Abtreibungsklinik kann Leben schützen

Bayern hat sich verspekuliert und die Verfassungsbeschwerden der beiden Ärzte Friedrich Stapf und Andreas Freudemann gegen das Schwangerenhilfe-Ergänzungsgesetz unterschätzt. Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts urteilte gestern, die beiden Ärzte könnten ihre Spezialpraxen weiter überwiegend durch dort vorgenommene Schwangerschaftsabbrüche finanzieren. Die im Gesetz geplanten Einschränkungen seien nicht anzwenden – mindestens bis zum Urteil in der Hauptsache (AZ 1BvR 2306/96).

Bayerns Sozialministerin Barbara Stamm (CSU) hatte bis zuletzt darauf vertraut, daß sie mit ihrer Politik gegen spezialisierte Abtreibungskliniken glatt durchkommen würde. Schließlich glaubte sie, nur eine Anregung des Verfassungsgerichts aufzunehmen.

Tatsächlich hatte der Zweite Senat des Karlsruher Gerichts 1993 in seinem Urteil zum neuen Paragraphen 218 in einer Nebenbemerkung geschrieben, Gefahren für den Lebensschutz lägen bei Einrichtungen, die ausschließlich Abtreibungen durchführen, „auf der Hand“. Außerdem regte der Senat damals an, französische Regelungen zu prüfen, nach der Kliniken maximal 25 Prozent ihrer Einnahmen mit Abtreibungen erzielen dürfen.

Die bayerische Staatsregierung hatte diese Anregung wörtlich genommen und kam zu dem Schluß, daß eine solche Einschränkung auch in Bayern das „werdende Leben“ wirksam schützen könnte.

Wenn die bayerische „Prüfung“ allerdings etwas kritischer gewesen wäre, dann wäre der Regierung aufgefallen, daß die Rahmenbedingungen in beiden Staaten nicht vergleichbar sind. In Frankreich kann der Staat öffentliche Krankenhäuser verpflichten, Abteilungen für Schwangerschaftsabbrüche einzurichten, die dann leicht eine solche Quote erfüllen können. In Deutschland dagegen, und gerade in Bayern, sind die privat niedergelassenen Ärzte viel wichtiger für eine flächendeckende Versorgung abtreibungswilliger Frauen.

Außerdem hätte Bayern auch anderen Passagen des 93er-Urteils mehr Aufmerksamkeit widmen müssen. Dort hieß es etwa, daß eine abtreibungswillige Frau den Abbruch inklusive An- und Abreise an einem Tag erledigen können muß. Auch dies diene dem Lebensschutz, weil „sich der Arzt nicht wegen einer weiten Anreise der schwangeren Frau gedrängt sieht, den Schwangerschaftsabbruch an dem Tage, an dem sie sich zum erstenmal bei ihm einfindet, vorzunehmen“.

Daß die Münchener Staatsregierung diesen Auftrag völlig aus den Augen verloren hat, zeigte sich schon in der mündlichen Verhandlung vor einem Monat. Damals hatten erst 14 von 1.000 bayerischen Gynäkologen und sechs Krankenhäuser ihr Interesse bekundet, Abtreibungen nach dem neuen bayerischen Gesetz durchzuführen.

Nur 14 bayerische Ärzte sagten Abtreibungen zu

Kein Wunder: Die zahlreichen administrativen Schikanen, die mit Abtreibungen in Bayern künftig verbunden sein sollen, schrecken die Mediziner ab. Ein klassisches Eigentor. Denn ohne Abtreibungsärzte kann die Staatsregierung ihr Lebensschutzkonzept nicht verwirklichen, das auf mehrfache Beratung (durch spezielle Beratungsstellen und MedizinerInnen) setzt.

Fraglich ist überdies, ob die 1993 deutlich gewordenen Bedenken des Verfassungsgerichts gegen spezialisierte Abtreibungskliniken noch bestehen. Denn in der mündlichen Verhandlung wurde sehr deutlich, daß es die fundierte und offene Beratung von Stapf und Freudemann vielen Frauen ermöglicht, sich kurz vor dem Eingriff doch für das Austragen des Kindes zu entscheiden.

„Wir schicken zwei bis drei Frauen pro Tag wieder nach Hause“, erklärte Stapf in der mündlichen Verhandlung, „das ist bei uns schon fest einkalkuliert.“ Wer dagegen wenige Abtreibungen durchführe, sei mehr betroffen, wenn sich seine Vorbereitungen im Einzelfall nicht rentierten.

Bis auf weiteres können Stapf und Freudemann jedenfalls unverändert weiterpraktizieren. Aufgegeben hat CSU-Ministerin Stamm aber nicht. Sie setzt jetzt ganz auf die Hauptverhandlung. Bis dahin will sie die flächendeckende Versorgung mit AbtreibungsärztInnen sicherstellen.

Noch im Gericht präsentierte Stamm das Ergebnis einer Fax- Umfrage bei bayerischen ÄrztInnen, die in den letzten Jahren vereinzelt Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt haben. „Ich habe jetzt die Zusage für rund 12.000 Abbrüche pro Jahr“, erklärte die Ministerin trotzig. Damit wäre tatsächlich der bayerische Bedarf erfüllt. Christine Roth, die Anwältin von Freudemann, traut den Zahlen jedoch nicht über den Weg: „Das sind vage Absichtserklärungen auf einem anonymen Fragebogen. Kein Mensch kann das kontrollieren.“

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