: Mesut Yilmaz bastelt noch an seiner Mehrheit
■ In der Türkei kristallisiert sich erst langsam eine neue Regierungskonstellation heraus. Die unterlegene Tansu Çiller will noch immer Ministerpräsidenten werden
Istanbul (taz) – Ob der bürgerliche Politiker Mesut Yilmaz von der Mutterlandspartei (Anap) eine Regierung bilden kann, der das türkische Parlament das Vertrauen ausspricht, ist weiter ungewiß. Das erste Ziel sei, „eine Regierung der zivilen Autorität“ zu errichten, sagte Yilmaz gestern auf einer Pressekonferenz, nachdem er mit mehreren Parteiführern zusammengekommen war.
Mit der Beauftragung von Yilmaz forciert Staatspräsident Süleyman Demirel eine Regierungsbildung unter Ausschluß der islamistischen Wohlfahrtspartei unter Necmettin Erbakan, die zur Zielscheibe des türkischen Militärs geworden ist. Erbakan trat als Ministerpräsident zurück, nachdem die Militärs unverhohlen mit einem Putsch gedroht hatten.
Durch Übergabe des Ministerpräsidentenamtes an seine Koalitionspartnerin Tansu Çiller von der Partei des rechten Weges (DYP) und einen schnellen Neuwahltermin versuchte Erbakan, die Militärs zu beruhigen. Demirel durchkreuzte die Pläne, indem er Yilmaz statt Çiller mit der Regierungsbildung beauftragte.
Sowohl die linksnationale Partei der Demokratischen Linken (DSP) des Ex-Premiers Bülent Ecevit als auch die Republikanische Volkspartei (CHP) unter Führung Deniz Baykals erklärten, daß sie für Yilmaz stimmen werden. Auch Hüsamettin Cindoruk, dessen Partei zum Sammelbecken von Abgeordneten aller möglichen Strömungen geworden ist, sicherte Yilmaz seine Unterstützung zu.
Der Versuch, Çillers DYP in eine Regierung der „nationalen Verständigung“ gegen die Islamisten einzubinden, endete jedoch in einem Eklat. Gerade zwanzig Minuten dauerte das Gespräch der Erzrivalen Yilmaz und Ciller. Die Beauftragung von Yilmaz sei ein „Putsch gegen die Demokratie“, meint Çiller. Die Wohlfahrtspartei müsse „in das System integriert“ werden. Çiller bastelt derzeit an ihrem Image als Demokratin, die dem Eingreifen der Generäle Widerstand leistet: „Im Kampf für Demokratie sind wir bereit, als Helden zu fallen.“ Niemand erwarte, daß Frau Çiller auf dem Schlachtfeld sterbe, merkte Yilmaz nach dem Gespräch an: „Wir verlangen doch nur ein wenig Kompromißbereitschaft.“
Doch Tansu Çiller will um jeden Preis selbst Ministerpräsidentin werden. Deshalb will sie vor allem verhindern, daß Dissidenten in der eigenen Partei, die ein Zusammengehen mit den Islamisten ablehnen, für Mesut Yilmaz stimmen. Doch selbst wenn Yilmaz scheitert, hat Çiller kaum eine Chance, den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten. Ömer Erzeren
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