: Unter Netanjahus Füßen brennt der Boden
■ Israels Regierungschef übersteht nur knapp einen Mißtrauensantrag der Opposition. Auch ehemalige Verbündete haben dem Premier den Rücken gekehrt
Jerusalem (dpa) – 13 Monate nach seinem Wahlsieg steht Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu vor einem Desaster. Seine Gegner – auch aus der eigenen Partei und den Reihen der Koalitionspartner – greifen den Ministerpräsidenten scharf an. Die israelische Presse spekuliert über seinen baldigen Abgang.
„Ein weiterer Sieg wie dieser, und alles ist vorbei“, kommentierte gestern die Tageszeitung Maariv das am Dienstag abend nur knapp überstandene Mißtrauensvotum im israelischen Parlament. Bei der Abstimmung hatte Netanjahu nur 55 von 120 Abgeordneten hinter sich gebracht. „Der Boden brennt unter seinen Füßen, aber er kann das Feuer nicht löschen“, meint ein westlicher Diplomat. „Bald wird die Hitze unerträglich werden.“
Netanjahus Regierung zeigt bereits Auflösungserscheinungen. Finanzminister Dan Meridor trat in der vergangenen Woche zurück, weil er kein Vertrauen mehr zum Regierungschef hatte. Mit seinem Plan, den Ex-General und rechtsgerichteten Hardliner Ariel Scharon zu Meridors Nachfolger zu ernennen, brachte Netanjahu jetzt auch Außenminister David Levy und Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai gegen sich auf. Laut israelischen Medienberichten soll Levy über seinen Rücktritt nachdenken.
Die Minister und andere Politiker sehen den Nahost-Friedensprozeß im Falle einer Ernennung Scharons am Ende. Der derzeitige Minister für Infrastruktur ist kompromißloser Gegner der Vereinbarungen mit den Palästinensern. „Die Situation führt in die Katastrophe“, warnten Levy und Mordechai. Sicherheitsexperten befürchten, daß das Einfrieren der Kontakte zu den Palästinensern zuerst zu einer Explosion in den Autonomiegebieten und dann im gesamten Nahen Osten führen könnte. Sollte es zu einer neuen Terrorwelle kommen, wird Netanjahu nach Ansicht politischer Beobachter wohl zurücktreten müssen. Als ernsthafter Kandidat für seine Nachfolge gilt derzeit Ex-Finanzminister Meridor. Er sammelt die Schar diejenigen, die Netanjahu intern kritisieren, um sich und scheint nur den besten Augenblick abpassen zu wollen, Netanjahu herauszufordern. Bei Netanjahu „geht es nicht um Ideologie, sondern nur um die Macht und brutale Gewalt“, sagte Meridor.
Sollte Netanjahu diesen Sommer mit einer intakten Regierung überstehen, dürfte nach Ansicht von Beobachtern der Augenblick der Wahrheit im September eintreten, wenn er zu einem „großzügigen Rückzug“ aus dem Westjordanland gezwungen sein wird, den er US-Präsident Bill Clinton versprochen hatte.
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