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Kitas können länger öffnen – nur wenige tun es

■ Nur 19 von 1.000 Kindertagesstätten im Stadtgebiet bieten verlängerte Öffnungszeiten an. Manche Bezirke sagen schlicht: „Kein Bedarf erkennbar“

Die Verkäuferin Ina Mittelstädt hatte Glück gehabt: Ihre vierjährige Tochter war in der richtigen Kita. Als im vergangenen November viele Geschäfte plötzlich bis zur Tagesschau ihre Türen öffneten, arbeiteten in Vivians Kita in Hellersdorf die Erzieherinnen bereits seit ein paar Monaten abends länger. Diese Regelung bewahrte die alleinerziehende Mutter vorm Gang zum Arbeitsamt: „Nun kann ich wenigstens bis 19 Uhr arbeiten und meinen Job behalten. Sonst hätte ich mir etwas anderes suchen müssen.“

Seit im vergangenen August ein neues Kitagesetz in Kraft trat, das spätere Öffnungszeiten vorsieht, sind mittlerweile 19 Kitas im Stadtgebiet bis mindestens halb acht abends geöffnet. Bei rund 1.000 Tagesstätten in Berlin nicht gerade viel. Doch allmählich werden es mehr. Momentan laufen in vielen Bezirken noch Umfragen, um den Bedarf zu ermitteln. Ab August sollen noch weitere Kitas länger öffnen, in Reinickendorf allein sechs.

„Gerade Alleinerziehende und VerkäuferInnen schaffen das anders kaum“, beklagt Sylvia Michler, Leiterin der 34. Kita in Hellersdorf. Wie in vielen anderen Kitas mußten schon vor der Gesetzesänderung sie und ihre Kolleginnen oft länger bleiben, weil Eltern ihre Kinder nicht rechtzeitig abholen konnten. Denn wer nicht einen besonders verständnisvollen Arbeitgeber hat, kann sich nur selten um vier Uhr nachmittags von der Arbeit davonstehlen. Nicht nur Yuppies, auch viele SekretärInnen, VerkäuferInnen oder Bankangestellte müssen mittlerweile oft noch abends arbeiten. Hinzu kommen die in Berlin oft langen Wege zur Arbeit.

Rita Hermanns, Sprecherin des Senats für Jugend, Umwelt und Sport kennt das Problem. Wie manche andere Eltern, so klagt sie, müsse auch sie „das duale System aktivieren: eine Tagesmutter oder Freunde, die die Kinder von der Kita abholen“. Dies ist oft teuer und nicht immer die beste Lösung. Weshalb sich viele Eltern statt Kita dann lieber gleich eine Tagesmutter suchen.

Erst seit einige Kitas länger offenstehen, ist es dort für alle Seiten entspannter: Die Eltern hetzen nicht mehr mit schlechtem Gewissen von der Arbeit zu den Kindern, die Kindergärtner sind darauf vorbereitet, auch am Abend zu arbeiten, und die Kinder spielen nicht mehr zwischen Tür und Angel.

Bisher lief dabei die Umstellung auf die späteren Arbeitszeiten problemlos: Die Erzieher arbeiten lediglich in anderen Schichten und sind auch bereit dazu. Und die Bezirke kostet das Ganze keinen Pfennig mehr.

Dennoch reagieren die Jugendstadträte völlig unterschiedlich auf das neue Kitagesetz. Während in einigen Bezirken die Eltern in den letzten Monaten gezielt befragt wurden, halten manche Jugendstadträte wie Wolfgang Kieke (PDS) aus Marzahn Umfragen für überflüssig. „Kein Bedarf“, sagt er. Weder an Umfragen noch an längeren Öffnungszeiten. Auch scheiden sich die Geister, wieviel Kinder nötig sind, damit eine Kita länger öffnet. In Neukölln müssen so pro Ortsteil rund 15 Kindern länger bleiben, damit es sich lohnt, in Prenzlauer Berg reichen schon vier Kinder abends. „Es ist ja pädagogisch gar nicht sinnvoll, wenn Kinder so spät ins Bett kommen“, sorgt sich die Neuköllner Jugendamtsdirektorin Gabriele Jetter um das Wohl der Zöglinge in ihrem Bezirk. Und dann, wohl mehr ums eigene Wohl besorgt: „Wir wollen durch ein Angebot ja nicht noch eine Nachfrage schaffen, die dem Bezirk mehr Arbeit macht.“

Gerade das will Wolfgang Brennecke (SPD), Jugendstadtrat von Reinickendorf. „Wir müssen doch ein Zeichen setzen. Wenn wir anfangen, Kitas länger zu öffnen, trauen sich berufstätige Eltern erst, das Angebot anzunehmen.“ Ähnlich urteilt auch Kitaleiterin Silvia Michler: Nach knapp einem Jahr mit späteren Öffnungszeiten beobachtet sie einen größeren Andrang auf die Kita – alles Eltern, die länger arbeiten. Gudula Hörr

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