Wagenburg auf dem Pariser Platz

■ Alle Jahre wieder: Kritik von links am CSD. Diesmal mit "Braunem Stöckel" und einer Schlammschlacht

Aus dem großen O glotzt ein Biedermann. Gestreifte Krawatte, weißer Kragen, grauer Anzug. Ein wenig unbeholfen schaut Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) drein. Fast ein bißchen unschuldig. Nicht unschuldig, meinen Kritiker aus dem linken Spektrum. „Auch MOM-Freund Jörg Schönbohm läßt Lesben, Schwule und andere abschieben“, haben sie um das Mann-O-Meter-Emblem MOM herumgeschrieben. Und in die Mitte, in das große O, haben sie ein Foto von Schönbohm montiert.

Dem schwulen Info-Laden Mann-O-Meter wie auch dem Schwulenverband Deutschland (SVD), den Schwulen Soldaten und den Gay-Managern haben die Queerulanten, 1994 aus der Schwulen-Antifa entstanden, vergangene Woche den „Braunen Stöckel“ verliehen. Dem Mann- O-Meter mit der Begründung: „Endlich Klarheit. Mann-O-Meter bekennt sich zu rechtem Innensenator.“ Vergangene Woche hatte Schönbohm dem schwulen „Switchboard“ in der Motzstraße einen Besuch abgestattet. Anschließend hatte MOM verlauten lassen, Schönbohm habe sich interessiert und aufgeschlossen gezeigt. Einen Tag später hatte Schönbohm den BezirksbürgermeisterInnen verboten, die Regenbogenflagge vor den Bezirksämtern zu hissen. Wie das zusammenpaßt? Das fragen sich auch die Queerulanten. „Noch nie zuvor wurden in dieser Härte alternative Lebensformen aus der Stadt gedrängt, besetzte Häuser und Wagenburger geräumt, Obdachlose weggekarrt, so viele Flüchtlinge abgeschoben und AntifaschistInnen verprügelt. Unter Schönbohms Regie werden alle Menschen kriminalisiert, die nicht ins Konzept der deutschen Hauptstadt passen“, haben sie in einem Flugblatt geschrieben.

Oliver Numrich, kein Queerulant, aber einer, der die Argumentation der Queerulanten gut nachvollziehen kann, sagt: „Ich habe gedacht: Mein Gott, es gibt so viele soziale Bewegungen in der Stadt, die den massiven Sozialabbau kritisieren und dafür auf die Straße gehen. Warum solidarisiert sich Mann-O-Meter nicht mit denen? Warum trifft man sich statt dessen in Teetafelatmosphäre mit Schönbohm, nur um die eigene Finanzierung abzusichern?“ Für Oliver Numrich hat sich Mann-O-Meter als unabhängige Interessenvertretung aller Schwulen disqualifiziert.

Die Auseinandersetzung geht weiter. Schon heute anläßlich des 19. Christopher Street Day. Am Ende des Demonstrationszuges wird der linke Herz mit Hirn-Block mit neun Wagen präsent sein, und auf einem Plakat wird zu lesen sein: „Mit Herz und Hirn, wir lassen uns nicht verwirr'n. Keine Integration in eine rassistische und kapitalistische Gesellschaft.“ Für Oliver Numrich vom Aktionsbündnis ist wichtig: „Wir können uns nicht aus anderen gesellschaftlichen Bereichen heraushalten. Wir müssen über den lesbisch-schwulen Tellerrand hinausschauen. Wir können uns nicht nur über unser Schwul- oder Lesbischsein definieren.“ Der SVD und Mann-O-Meter (beide sind Mitorganisatoren des CSD) würden eine Anpassungspolitik betreiben und bürgerlich-reaktionäre Forderungen aufstellen.

Daß der Dissidentenblock auch in diesem Jahr wieder der letzte im Demo-Zug sein wird, findet Oliver Numrich „nicht ganz so schlimm“. Aus dem einfachen Grund: „Wir steigen schon früher aus der Parade aus.“ Die Herz-mit-Hirn-Wagen werden am Pariser Platz eine Wagenburg bilden. Dann werden verschiedene Redebeiträge zu Schwulen- und Lesbenpolitik gehalten. Und dann wird es eine große Schlammschlacht geben. „Wir wollen uns offen als Schmuddelkinder der Bewegung outen.“ Jens Rübsam