Village Voice: Freispiel auf der Soundkarte
■ Laub triphoppen irgendwo zwischen Ostkreuz und Ostsee herum, Surrogat hätten so gerne einen Freund, „so wie früher, einfach so“
Dieser Sommer ist nicht, wie früher einer war. Kaum hat man sich einigermaßen von Trans Ams heftigem Gig im Trash erholt, poltern stapelweise Platten aus dem wiederentdeckten Regal „Elektronik und Gitarre“. Das startet düster mit dem Kracher der Third Eye Foundation, geht mit dem flotten Output von Salaryman weiter, und noch bevor so richtig deutlich wird, wo nun wieder Bands wie die Unsophistocates oder Prolapse hingehören und ob das neue große Ding aus GB wirklich „Neo-Wave“ heißt, ist die Verwirrung komplett – insbesondere da mit Vitro unlängst die tanzbare Version all dessen im Vorprogramm der famosen Sneaker Pimps vorbeischauen.
Was also tun – schnell in den kuscheligen mü-ziq-Remix von Yo La Tengos „Autumn Sweater“ schlüpfen und hoffen, daß er bis zum Herbst schon reichen wird? Das geht natürlich in Ordnung, würde aber das Miniversum von Laub sang- und klanglos an sich vorüberziehen lassen und somit keine Vorfreude auf den hoffentlich im September erscheinenden Longplayer bereiten. 21 Minuten, 39 Sekunden und 52 Hundertstel lang machen Antye (Stimme und Programmierung) und Jotka (Gitarre) dort weiter, wo die inzwischen aufgelösten Wuhling in einsamer Meisterschaft bereits ihre Fußabdrücke zwischen Ostkreuz und Ostsee hinterlassen haben – auch wenn die Perspektive im gröbsten denkbaren Raster eher mal Spacebjörk als Spacebeige heißt und hier weitaus weniger Kunst als eine dezente Umkreisung des Planeten Pop angepeilt wird.
Obwohl holzhämmernde Begriffe von „Emotionalität“ und „Intensität“ eigentlich in jeden besseren Panzerschrank voll abgegriffener Umschreibungen gehören, hier dürfen sie eigentlich noch einmal aufscheinen, bevor tackernde Beats in Perwoll gewaschene Melodien zerlegen und sich mit TripHop-Anmutungen neu einkleiden, während zwischendurch dazu der Zufallsgenerator ein Freispiel auf der Soundkarte feiert. Hätten wir nicht bereits vor einem Jahr an dieser Stelle im Zusammenhang mit den MMM-Remixes des Surrogatschen Soulcores von fiebrigen Frequenzen geschwärmt, die blubbernd wie in der Dorschdisco daherkommen – dies wäre auch kein schlechter Anlaß gewesen.
Vor allem, da Surrogat auch auf ihrem dritten Longplayer ihrem Hobby treu geblieben sind und sich diesmal besonders kratzig von Tarwater auf- und abmischen lassen. Doch vor den Spaß haben Patrick Wagner, Tilo Schierz und T.T. Mai Linh die knüppelharte Maloche gesetzt: Fünfmal werfen sie Gitarre, Baß und Schlagzeug in alter Frische an, um aus Stahlbeton expressive Lärmskulpturen herauszustemmen. Und obwohl sich passagenweise eine irritierende Sanftheit bei Surrogat eingeschlichen hat, sind wie schon auf „Unruhig“ und „Soul feat. MMM“ maximale Verdichtung und größtmögliche Dynamik das Ziel. Die mit dem Mut der Verzweiflung ausgehauchten Texte lassen dann auch keine Wünsche mehr aufkommen. Nach fünf Minuten lockerem, nahezu entspanntem Intro: „Ich hätt so gerne einen Freund, so wie früher, einfach so.“ Das ist noch viel deprimierender als Helmet in voller Lautstärke vorm ausfallenden Frühstück oder Mutters Live-Takes im Walkman beim Spaziergang durch schwach beleuchtete Friedrichshainer Seitenstraßen – selbst wenn es sich bei Surrogats Anstrengungen um eine künstliche Härte handelt, die, wie der vielversprechende Bandname schon sagt, um die Illusion des reinen Ausdrucks weiß. Nicht einmal den passenden Soundtrack zum Summer of Hate für die Gebildeten unter den Verächtern der Love Parade liefert diese Hausbesetzung in der Krachmacherstraße. „Man müßte drin sein, in sein, mitmachen, meine Damen und Herren, mitmachen – statt dessen Lähmung“, heißt es bitter und verweigert mit großer Geste jeden Schulterschluß. Daß sich so eine Absage an alle gegenkulturellen Hoffnungen erst gefahrlos ausformulieren läßt, wenn man sich schon im Zentrum befindet, sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt und sollte bei der angemessenen Einschätzung dieser wieder mal weit jenseits der Regionalliga einzuordnenden Produktion nicht mal eine Nebenrolle spielen. Gunnar Lützow
Laub: Miniversum (Kitty Yo Int./ Indigo; Surrogat: Hobby (Kitty Yo Int./Indigo)
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