: "Die Gräben zuschütten"
■ Andreas Nachama, neuer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, will mehr Förderung jüdischen Lebens. Holocaust-Mahnmal schnell errichten. Gegen Rauswurf Amnon Barzels
taz: Sie gelten innerhalb der Jüdischen Gemeinde als Vermittler zwischen den verschiedenen zerstrittenden Gruppierungen. Sind Sie der große Integrator?
Andreas Nachama: Es ist gelungen, einen Vorstand zusammenzubringen, der alte Gräben zuschüttet und hoffentlich keine neuen aufreißt. Der Vorstand sieht sich als Repräsentant aller Gruppen. Ob ich aber tatsächlich eine Integrationsfigur für die Gemeinde sein kann, weiß man erst in vier Jahren.
Wie wollen Sie die Beziehungen zwischen den alteingesessenen westlichen Juden und den russischen Zuwanderern, die immerhin fast zwei Drittel der Gemeinde ausmachen, verbessern?
Ich würde gerne öffentliche Foren zu den unterschiedlichsten Themen anbieten. Daran sollte auch der Vorstand teilnehmen. Dadurch schaffen wir eine bessere Form von interner Kommunikation, und die Gemeinde öffnet sich nach außen.
Es gibt seit ein paar Wochen einen neuen orthodoxen Rabbiner für die Synagoge Joachimsthaler Straße, die Stelle für die liberalere Synagoge Pestalozzistraße ist jedoch immer noch vakant. Wann wird diese besetzt?
Die Gemeinde hat in den vergangenen Monaten versucht, eine geeignete Person zu finden. Es liegen mehrere Bewerbungen vor, und ich gehe davon aus, daß wir zu den Feiertagen im Oktober einen deutschsprachigen Rabbiner gefunden haben werden.
Können Sie sich dort auch eine Rabbinerin vorstellen, wie zum Beispiel in Oldenburg?
Für Berlin ist das im Augenblick kein Thema. Es gibt noch kein reguläres Gebetsquorum, also einen gleichberechtigten Gottesdienst für Männer und Frauen, obwohl es innerhalb der Gemeinde eine solche Initiative gibt. Aber die Reformbewegung in Berlin ist seit fast 70 Jahren eingefroren. Das kann man jetzt nicht so schnell nachholen. Ich kann mir aber vorstellen, daß dieses Thema irgendwann mal relevant wird, nicht jedoch in dieser Legislaturperiode.
Sie waren zehn Jahre Direktor der „Topographie des Terrors“ und lassen sich jetzt beurlauben. Werden Sie sich von der inhaltlichen Arbeit völlig zurückziehen?
Ich kann mir nicht vorstellen, nur weil ich jetzt einige Straßenecken weiter auf einem anderen Stuhl sitze, daß ich nichts mehr zu dem Thema sagen werde. Ich will in diesem Feld, in dem ich vorher tätig war, beispielsweise wie Austellungen konzeptioniert werden, weiter meinen Rat einbringen. In meiner ganz eigenen Arbeit, die sich mit Zeitgeschichte beschäftigt, mache ich natürlich weiter.
Die Jüdische Volkshochschule bekommt vom Senat derzeit noch jährlich 250.000 Mark. In der vergangenen Woche tauchte sie auf einer „Streichliste“ auf und könnte dadurch existenzbedroht sein.
Ich hoffe nicht, daß der Senat mir ein solches Antrittsgeschenk macht und diese wichtige Einrichtung nicht mehr fördert.
Es gibt immer noch keine Einigkeit über Standort und Konzeption des Holocaust-Denkmals. Welche Position nehmen Sie in der derzeitigen Diskussion ein?
Ich denke, das Wertvollste bisher war die Diskussion um das Mahnmal an sich. Das ist selbst schon ein Stück Mahnmal. Beim Standort will ich mich nicht einmischen, das müssen die Auslober entscheiden. Ich hoffe jedoch, daß kein neuer Wettbewerb ausgeschrieben, sondern eine zweite Stufe erreicht wird: alle Erfahrungen, die im ersten Wettbewerb gemacht wurden, sollen dort einfließen. Die beteiligten Künstler sollen dann entscheiden, ob der Entwurf so bleiben kann oder aufgrund der öffentlichen Diskussionen noch einmal verändert werden muß. Aber die Zeit drängt. Es wäre sehr angemessen, wenn diejenigen, die in den Konzentrationslagern befreit wurden, noch die Einweihung des Denkmals erleben könnten.
Das Jüdische Museum im Berlin Museum ist derzeit noch die „Jüdische Abteilung“ im Martin- Gropius-Bau und soll in den Libeskind-Bau an der Lindenstraße ziehen. Konflikte gibt es nicht allein über die Konzeption des Museums. Gestern wurde der Direktor, Amnon Barzel, gefeuert. Wie wollen Sie darauf reagieren?
Libeskind hat eine Architekturikone geschaffen. Nun geht es darum, für dieses Gebäude, das von jüdischer Geschichte durchdrungen ist, ein ähnlich geniales Ausstellungs- und Organisationskonzept zu finden. Das ist bisher nicht passiert. Solange der Senat durch einseitige Maßnahmen vollendete Tatsachen schafft, sieht die Jüdische Gemeinde keine Grundlage für Gespräche bezüglich des Jüdischen Museums. Interview: Julia Naumann
Siehe auch Seiten 4 und 11
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