Große zeigen Größe

Durch das 81:60 über die Ukraine ersparen sich die deutschen Basketballer den größten EM-Horror  ■ Aus Barcelona Matti Lieske

Ademola Okulaja ist der beste Beweis dafür, daß nach dem deutlichen 81:60 gegen die Ukraine im zweiten Spiel der EM das Selbstvertrauen in der deutschen Mannschaft wiederhergestellt ist. „Mit unserem normalen Potential hätten wir gegen Kroatien gewonnen“, sagte der 22jährige von der Universtät in North Carolina ein wenig übermütig zu jenem mit 55:75 verlorenen Spiel, das Vladislav Lucic am liebsten ganz schnell vergessen hätte. „Das war gestern“, sagte der Bundestrainer mit erleichtertem Lächeln, „heute war es ein ganz anderes Spiel.“

Allerdings auch ein ganz anderer Gegner. „Mir ist egal, wer in unserer Gruppe Vierter wird, ich bin jedoch zu hundert Prozent davon überzeugt, daß es nicht die Ukraine sein wird“, hatte Coach Zurab Chromajev vor dem Turnier verkündet, nachdem in der Qualifikation sogar Kroatien geschlagen worden war. Nach den drastisch verlorenen Spielen gegen Spanien und Deutschland klang er erheblich kleinlauter. „Wir haben in unserem Land nicht die Mittel, den Basketball zu entwickeln“, sagte er bekümmert, „unsere Leute sind in einer guten physischen Verfassung, aber sie verstehen das Spiel nicht.“ Spaniens Coach Lolo Sainz hatte die Taktik der Ukrainer als „offensiv, sehr einfach und teilweise anarchisch“ charakterisiert und ihre Distanzschützen gelobt, deren Namen er sich allerdings von seinem Co-Trainer erst zuflüstern lassen mußte: Lokhmanchuk und Murzin.

Gegen Deutschland landeten jedoch bloß vier von 19 Dreipunktversuchen im Korb, und Spielmacher Jewgeni Murzin mußte ernüchtert feststellen: „Die Ukraine steht auf einem niedrigeren Level als die anderen Teilnehmer der EM.“ Ohne ihren urlaubenden NBA-Star Vitali Potapenko von den Cleveland Cavaliers, dem in den USA „der Patriotismus abhanden gekommen ist“ (Chromajev), waren die Ukrainer auch unter den Körben hoffnungslos unterlegen. Die deutschen Center, denen El Pais nach dem Kroatien-Spiel „komplette Nutzlosigkeit“ bescheinigt hatte („Das einzige, was sie mitbringen, sind Zentimeter“), durften diesmal sogar Lob vom Gegner einheimsen. „Wir haben Probleme mit ihren großen Leuten gehabt“, konstatierte Jewgeni Murzin sehr zu Recht.

Gemeint war damit weniger Sascha Hupmann, der erneut eher bescheiden spielte, als der 22jährige Patrick Femerling, der mit 12 Punkten und sieben Rebounds, ebenso wie Okulaja (11 Punkte), den erfahrenen Leuten Rödl (überragend mit 18 Punkten, 6 Rebounds, 6 Assists), Harnisch (16 Punkte) und Wucherer (14) diesmal die nötige Unterstützung lieferte. „Es ist wichtig“, sagte Kapitän Henrik Rödl, „wenn von jemandem etwas kommt, von dem man es nicht so erwartet.“

Ganz besondere Lehren hatte Vladislav Lucic aus dem Debakel gegen Kroatien gezogen. „Ich habe mich die ganze Nacht gefragt, ob ich nicht den größten Fehler meines Lebens gemacht habe“, verriet der Bundestrainer. „Ich coache seit vielen Jahren, aber noch nie hatte ich ein Spiel so intensiv vorbereitet. Und dann war es so schlecht.“ Ademola Okulaja konnte die Informationsflut bestätigen. Eine ganze Woche lang habe man ständig Videos von Spielzügen und einzelnen Spielern betrachtet. „Wenn dann im Match der Finger des Spielmachers hochging, dachte man: Oh, eins, und fing an zu überlegen, was man auf Video gesehen hat, anstatt normale Defense zu spielen.“ Gegen die Ukraine sei wieder alles wie immer gewesen: „Spieler kontrollieren, Rebounds kontrollieren. Und tschüs.“

Für die künftigen Spiele versprach Lucic Besserung: „Wir werden uns jetzt nur noch darum kümmern, wie wir spielen und nicht, wie der Gegner spielt.“ Der Coach mochte sich zwar nicht zum himmelsstürmenden Enthusiasmus eines Okulaja hinreißen lassen, aber ein gewisser Optimismus hatte auch ihn heimgesucht. „Wenn unsere Defense funktioniert“, so Lucic, „haben wir gute Chancen, noch mehr Spiele zu gewinnen.“ Schließlich war es trotz aller Vorbereitung auf Kroatien die Partie gegen die Ukraine, der seit Wochen das besondere Augenmerk galt. Jedem war klar, daß dieses Match unbedingt gewonnen werden mußte, wenn man den Horror einer Plazierungsrunde um den 13. bis 16. Rang vermeiden wollte. Dieser bittere Kelch ist vorübergegangen, und die Basketballwelt des deutschen Teams ist erst mal wieder in Ordnung.