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Der Staat soll Entlassungen fördern

Bei Grundig in Portugal: Die Produktion wird dichtgemacht und nebenan wieder hochgezogen  ■ Aus Lissabon Theo Pischke

Lissabon (taz) – Die Beschäftigten des deutschen Elektronikkonzerns Grundig in Braga verstehen die Welt nicht mehr: In der nordportugiesischen Stadt wurden die 108 ArbeiterInnen der Grundig- Tochter „Grundig Industria Portugal“ (GIP), die Telefone herstellten, entlassen; die Produktion wurde eingestellt. Oder, besser gesagt: „vererbt“ an die „Fehst Componentes“, eine Firma auf demselben Gelände, deren Chef noch bis 1995 Manager bei Grundig war und die zuvor „Grundig Componentes“ hieß.

Die schlechte Nachricht wurde der Belegschaft schon am 19. Mai verkündet. Aber erst Ende letzter Woche wandte sich der Betriebsrat hilfesuchend an die Öffentlichkeit, weil er in Verhandlungen mit Grundig-Managern die Misere noch abwenden wollte.

Das Anrüchige an der Geschichte: GIP-Maschinen wurden nach Angaben des Betriebsrats in die nur ein paar Meter entfernte „Fehst“-Fabrikhalle geschafft. Und die Firma Fehst hat laut Betriebsratsmitglied José Ramos Lopes einen Teil der bei GIP Entlassenen eingestellt und für die Schaffung „neuer“ Arbeitsplätze und einer „neuen“ Produktlinie beim portugiesischen „Institut zur Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen“ (IAPMEI) bereits staatliche Zuschüsse beantragt. Lopes spricht von „Betrug“. „Wir glauben nicht, daß Herr Fehst in der Lage war, ,Grundig Componentes‘ mit eigenen Mitteln zu übernehmen. Grundig hat die Firma wohl bloß formal aus ihrer Holding herausgelöst, um staatliche Zuschüsse für mittlere Unternehmen kassieren zu können“, so Lopes zur taz. „Fehst Componentes“ lehnt eine Stellungnahme ab. Die Firma fertigte bisher lediglich Teile für von Grundig und Blaupunkt in Braga produzierte Autoradios.

Sie hat den von GIP Entlassenen auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge und einen niedrigeren Lohn angeboten. „Bei GIP betrug der Durchschnittslohn 1.030 Mark im Monat, bei Fehst sind es 880 Mark“, sagt Lopes. Bedingung für die Einstellung sei außerdem, daß die von GIP entlassenen Arbeiter die Abfindung annehmen. „Damit erklären sie sich praktisch mit ihrer Entlassung einverstanden und können vor dem Arbeitsgericht nicht dagegen klagen“, erläutert Lopes.

Der Gewerkschafter sähe für eine Klage jedoch gute Erfolgschancen. „Eine kollektive Entlassung ist nur Rechtens, wenn die Produktion auch wirklich eingestellt wird; Grundig verlagert sie jedoch nur ein paar Meter weiter in eine andere Fabrikhalle.“

Grundig stellt nach dem Handel mit Fehst in Braga weiterhin Autoradios her. Insgesamt arbeiten auf dem Komplex etwa 3.000 Menschen: 1.800 bei Blaupunkt, der Rest bei Grundig für Telefon- und Hi-Fi-Komponenten sowie bei Fehst. Laut Lopes hat GIP von 1989 bis 1993 insgesamt 5,7 Millionen Mark staatliche Subventionen für die Schaffung von Arbeitsplätzen kassiert. Für die „Neueinstellung“ eines Teils der Entlassenen will nun auch „Fehst Componentes“ ein Stück vom Subventionskuchen abhaben.

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