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Röstfrisch wohnen auf dem Strich

Hamm-Süd: Tchibo will sein Werk im Wohngebiet erweitern  ■ Von Heike Haarhoff

Zu beiden Straßenseiten Lagerhallen und Speditionen. Abends um sieben verlassen nur noch ein paar Lkw-Nachzügler mit ihrer Fracht die Speditions-Ausfahrten an der Süderstraße. Rangiert und verladen wird erst wieder ab halb vier Uhr morgens. Bis dahin kurven hauptsächlich Freier über den Straßenstrich, der sich hier etabliert hat. Das ewige Bremsen und Wiederanfahren ist für die meisten AnwohnerInnen ein weiterer Grund, aus Hamm-Süd wegzuziehen: Es gibt nur wenige Läden und kaum Freizeitangebote. Zur nächsten Post, Bank und Arztpraxis ist es weit. Nach 20 Uhr verkehrt zwischen Süderstraße und U-Bahnhof Hammer Kirche ein Kleinbus mit zehn Sitzen. Und über allem wabert eine Wolke, die nach Kaffeekränzchen riecht und aus der Tchibo-Rösterei an der Wendenstraße aufsteigt.

Der „wenig attraktive“Stadtteil, erkannte Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow (SPD) unlängst Handlungsbedarf, gehöre städtebaulich aufgewertet. Und gab grünes Licht für 350 neue Wohnungen parallel zur Bille an der Steinbeker Straße südlich der Süderstraße. Der Grundstein wird im Herbst gelegt.

Gefördert werden sollte auch der Wohnungsbau im benachbarten Osterbrookviertel – bislang jedenfalls. Jetzt aber droht das Projekt am Konflikt zwischen Wohnungsbau und Industrie zu scheitern: Der Kaffee-Produzent Tchibo will sein Werk vergrößern, und zwar auf einem angrenzenden Grundstück, das dem Konzern bereits gehört und derzeit an eine Holzlagerei vermietet ist. Einziger Haken: Die Fläche – für Gewerbe ausgewiesen – müßte planrechtlich in einen Industrie-Standort umgewandelt werden. Folglich würden auch Lärm, Lkw-Verkehr und Kaffeegeruch näher als geplant an bestehende und künftige Wohngebiete heranreichen.

Deren Wert würde dadurch sinken: Wohngebiet ist teurer als Gewerbe- oder Industriebauland. Die 80 Eigentums-Wohnungsbesitzer im Osterbrookviertel drohen bereits mit Klage gegen die Stadt. „Es ist ein Widerspruch, einerseits Wohnen in Hamm-Süd zu fördern und andererseits einem Industriebetrieb zu ermöglichen, sich ins Wohnviertel auszudehnen“, beklagt Michael Braun von der Stadtteilinitiative Hamm die Entscheidung der Stadt.

Die nämlich ist wild entschlossen, ihre stadtplanerischen Ziele den Unternehmensinteressen des Kaffeerösters unterzuordnen: „Eine baurechtliche Änderung soll eingeleitet werden, sobald Tchibo erklärt, daß sie erweitern wollen“, sagt Stadtentwicklungsbehörden-Sprecher Bernd Meyer. Von einer Verlagerung des Standorts in den Hafen, weil dort auch der Kaffee ankommt, will niemand etwas wissen: „Das würde ein paar Happen kosten“, winkt Meyer ab.

Und für Tchibo-Sprecherin Birgit Klesper steht fest: „Der Standort Hamburg mit seinen 180 Mitarbeitern in der Produktion ist in keinster Weise gefährdet. Aber er ist für uns relativ nutzlos, wenn wir nicht die Option auf Erweiterung haben.“

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