„Einmal für Verbrecher!“

■ Kommentare, Gedankensplitter, Wortscharmützel: Die „Wehrmachtsausstellung“im Spiegel der Gästebücher

Nach mir kam ein älterer Mann an die Kasse: „Einmal für Rentner.“„Bitte?“„Einmal für Verbrecher!“

Szenen von solchem Format spielen sich derzeit in der Unteren Rathaushalle ab, wo noch bis Donnerstag die Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“gezeigt wird. Und einige BesucherInnen sind aufmerksam genug, sie festzuhalten. Der Ort dafür: Eine Kladde von Poesiealbumgröße, ausgelegt als Gästebuch auf einem Stehpult am Ausgang der Ausstellung.

Fast sechs Wochen nach Eröffnung hat die sogenannte Wehrmachtsausstellung in diesen Alben ihr beinahe-literarisches Spiegelbild geworfen.

Zwei Gästebücher sind es mittlerweile; beide engzeilig beschrieben mit Kommentaren, pathetischen Stellungnahmen Meinungen, Wortscharmützeln, die einen Ausschnitt davon abbilden, wie sich – nicht nur – deutsche AusstellungsbesucherInnen anno 1997 mit der Nazi-Vergangenheit auseinandersetzen.

Ich trage keine Verantwortung. Ich lebe nämlich erst seit 16 Jahren, schreibt ein Bremer Jugendlicher. Er und seine MitschülerInnen haben dazu beigetragen, daß die BesucherInnenzahl in den letzten Tagen auf rund 46.000 in die Höhe schnellte und die Erwartungen der OrganisatorInnen weit übertraf. Während sich LehrerInnen aus dem Umland für die für Gruppen reservierten Morgenstunden angemeldet hätten, sind nach Angaben der VeranstalterInnen immer mehr Bremer Klassen spontan gekommen.

Oder gekommen worden. Das Michael Jackson – ik liebe di gehört deshalb genauso beiläufig zur Sache wie das Heil Hitler, das ein Pennäler ins Buch gekritzelt hat und das postwendend mit Geschmacklos! beantwortet worden ist. Das ist notorisch, wo ein Buch öffentlich ausliegt, überraschend dagegen sind Form und Ausmaß davon, wie Jugenliche heute die Argumentation der Nachkriegsgeneration übernehmen.

Man soll lieber die Vergangenheit ruhen lassen, steht da unterschrieben von fünf 16 bis 18jährigen. Immer werden wir als Buhmann hingestellt, schreibt eine 23jährige und läßt sich einige Seiten weiter von zwei britischen Jugendlichen Recht geben.

Zurück zur Tagesordnung heißt das Motto an der Oberfläche, darunter lauern Berührtheit und die ständige Suche nach Relativierung: Auch die Engländer haben gemordet, die Amerikaner und Franzosen haben Kriegsverbrechen begangen, windet sich ein 17jähriger wie viele andere außer ihm, und spätestens die Handschriften machen deutlich, daß junge Menschen so denken. Die Kehrseite derselben Medaille ist die offensive Variante der Relativierung. W. (20) schreibt: Ich stehe 100prozentig hinter der Ausstellung. Ich hoffe, daß es sobald wie möglich eine Ausstellung über die Verbrechen des terroristischen Staates Israel gibt.

Gleichwohl überwiegt in den Büchern generationsübergreifendes Lob für die Ausstellung an sich und für den immer wieder bezeichneten Mut, sie in der Unteren Rathaushalle zu zeigen.

Wir schämen uns noch heute, unterschreiben zwei alte Damen der Jahrgänge 1922 und 1924, und ein Anonymus, der sich als ehemaliger Wehrmachtssoldat des Jahrgangs 1917 ausweist, bekundet: Die Ausstellung ist notwendig. Für K.P. aus Bremen, Jahrgang 1963 ist sie gar die erste freiwillige Begegnung mit den Schrecken und Verbrechen der Nazizeit.

Und darüber tobt schon auf der nächsten Seite Streit. Sie ist einseitig. Wo ist Dresden? Wo sind die Verbrechen der anderen?Penner, repliziert's oder Das sind Deutsche, die nicht in der Lage sind, ein Fünkchen Verantwortung zu übernehmen.

Ein anderer Besucher der Schau schreibt: Als aktivem Offizier der Bundeswehr fehlt mit der Hoffnungsschimmer, und muß sich sogleich belehren lassen: Diese Ausstellung ist der Hoffnungsschimmer. ck

Die Ausstellung ist nur noch heute, 2. Juli, von 10 bis 18 Uhr sowie morgen von 10 bis 20 Uhr zu sehen. Für angemeldete Gruppen gibt es an beiden Tagen zusätzlich von 8 bis 10 Uhr Führungen