: Demo in der Grauzone
Während Hongkong übergeben wird, fordern Demokraten mehr Freiheiten für ganz China ■ Aus Hongkong Sven Hansen
Bereits am ersten Tag nach der Rückgabe Hongkongs wurde gestern in der neuen Sonderverwaltungsregion für ein Ende der Einparteienherrschaft in China demonstriert. Schon in der Nacht hatten Proteste gegen die Auflösung des gewählten Hongkonger Legislativrates die Übergabe begleitet. Nach der Vereidigung der neuen Regierung beschloß diese wie angekündigt die rückwirkende Einschränkung der Bürgerrechte. Gestern vormittag sicherte Chinas Präsident Jiang Zemin Hongkong weitgehende Selbstbestimmung und die Einhaltung der versprochenen Rechte zu. Der neue Regierungschef Tung Che-hwa kündigte die Förderung des Wohnungsbaus und mehr Hilfe für Senioren an.
Bei der Demonstration für Demokratie in China und Hongkong zogen gestern nachmittag 3.000 Menschen bei strömendem Regen durch die Innenstadt zum Amtssitz der neuen Regierung. Auf roten Plakaten forderten sie: „Beendet die Einparteiendiktatur in China!“ In Sprechchören wurde die Freilassung von Dissidenten wie Wei Jinsheng verlangt.
Bei der Abschlußkundgebung vor dem Regierungssitz sagte der Gewerkschaftsführer Lee Cheuk Yan: „Wir haben einen Traum: Ein demokratisches China!“ An dem Gebäude war bereits das Wappen der britischen Königin gegen das rotgoldene chinesische Staatswappen mit den fünf Sternen ausgetauscht worden. Lee räumte ein, daß China die Demonstration wohl als subversiven Akt betrachten werde. Seiner Meinung seien die Proteste jedoch eine friedliche Meinungsäußerung, die internationalen Gesetzen entspreche. Nach neuen Gesetzen sind in Zukunft Organisationen und Veranstaltungen verboten, die die „nationale Sicherheit Chinas“ gefährden. „Wir demonstrieren hier in einer Grauzone“, so Law Yuk Kai von der Organisation „Hong Kong Human Rights Monitor“.
Am frühen Dienstag morgen waren die Abgeordneten der Demokratischen Partei, die mit dem Souveränitätswechsel ihre Mandate verloren, ohne auf Widerstand zu treffen auf den Balkon des Parlamentsgebäudes gelangt, um von dort Reden zu halten. Obwohl die Präsidentin des Übergangsparlaments dem zuvor nicht zugestimmt hatte, griff die Polizei nicht ein. Für die neue Regierung wäre es ein schwerer Schlag gewesen, wenn es vor der Weltpresse zu Auseinandersetzungen gekommen wäre. Die Demokraten ihrerseits verzichteten auf eine befürchtete Besetzung oder Ankettung.
Parteiführer Martin Lee sagte bei seiner Rede vom Balkon: „Ich bin stolz, ein Chinese zu sein, heute mehr denn je. Aber warum gibt uns die chinesische Regierung nicht mehr Demokratie, sondern nimmt uns das wenige, was wir unter den Briten erkämpfen konnten?“ Die Stimmung auf dem Balkon und unter den 3.000 Menschen davor war sehr kämpferisch, aber zugleich friedlich.
Die halbstündige Zeremonie für die Übergabe Hongkongs an China um Mitternacht fand in steifer Atmosphäre statt. Zunächst hielt Prinz Charles eine kurze Ansprache. Hongkong zeige, so der Thronfolger, daß Ost und West zusammenarbeiten könnten. Anschließend wurden von marionettenhaften Soldaten und zu den Klängen der Nationalhymnen die Fahnen gewechselt, die im Wind eines Gebläses flatterten. Chinas Staats- und Parteichef Jiang Zemin hob die historische Bedeutung dieses Augenblickes für China und die Welt hervor. Für Hongkong habe eine neue Ära der Entwicklung begonnen, so Jiang.
Nachdem Prinz Charles und Gouverneur Christopher Patten mit der königlichen Yacht „Britannia“ Hongkong verlassen hatten, vereidigte Chinas Ministerpräsident Li Peng den neuen Regierungschef Tung Che-hwa. Die Vereidigung erfolgte in Mandarin – der Sprache der Volksrepublik, und nicht in dem in Honkong gesprochenen Kantonesisch. Ein Zeichen dafür, daß der Wind jetzt aus Peking weht. Die Obersten Richter allerdings, die nicht auf ihre britischen Perücken verzichten wollten, wurden in Englisch vereidigt. Das Übergangsparlament beschloß bei der anschließenden ersten Sitzung wie erwartet ein Paket von 15 Gesetzen, darunter die Einschränkung der Bürgerrechte. Von 20 Rednern unterstützten dies 19, bei der Abstimmung gab es nur 4 Gegenstimmen.
Als die Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee in der Morgendämmerung bei strömendem Regen einmarschierten, säumten Tausende die Straßen. Die Soldaten fuhren auf offenen Lastwagen und in Panzerwagen vorbei und erhielten von Peking- nahen Organisationen Geschenke. Hongkongs Übergabe verlief fahrplanmäßig, selbst das Wetter hielt sich an die Vorhersagen. China und die neue Peking-nahe Regierung unterstrichen immer wieder ihren Willen, sich an die Vereinbarungen zu halten und den wirtschaftlichen Erfolg Hongkongs fortzusetzen.
Vertreter der Demokratiebeweung dagegen zeigten ihre Entschlossenheit, Freiheiten und demokratische Errungenschaften auch gegen das übermächtige China zu verteidigen. Wenn die 8.000 zur Übergabe angereisten Journalisten wieder weg sind, wird sich zeigen, ob den Versprechen Pekings und der neuen Regierung Hongkongs zu trauen ist.
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