: Die Gipfelstürmerinnen
Wir erleben eine Revolution: Frauen verändern die Arbeitswelt. Eine Streitschrift ■ Von Dorothea Assig
Wir sind weltweit mittendrin in einer revolutionären Veränderung. Doch kein feministischer Entwurf sagt uns, wie eine chancengerechte Welt aussehen könnte. Umfragen unter Leserinnen von Frauenzeitschriften ergeben nur Banalitäten. Dennoch ist eins sicher: Sehr viele Frauen haben sich auf sehr unterschiedlichen Wegen aufgemacht.
Anders ausgedrückt: Die bedeutendste kontinuierliche Entwicklung auf dem europäischen Arbeitsmarkt ist und bleibt der enorme Anstieg der Präsenz von Frauen. Berufstätige Frauen sind sogar die neuen „Verdienerinnen“ des Familieneinkommens. Die „Whirlpool Foundation“ hat 1996 festgestellt: „59 Prozent der berufstätigen Frauen in Europa verdienen die Hälfte oder mehr des Haushaltseinkommens, wobei die französischen Frauen mit einem Anteil von 72 Prozent ganz vorne liegen.“ Diese Studie zeigt, daß Frauen mit großer Hartnäckigkeit ihre Lebensentwürfe verfolgen. Sie wollen berufstätig sein, ein Privatleben führen. Viele von ihnen haben oder wünschen sich Kinder.
Frauen sind Männern eine Generation voraus
In ihrem Rollenverständnis sind Frauen den Männern um Jahrzehnte voraus. Diese Erkenntnis haben wir einem – des Feminismus völlig unverdächtigen – Marktforschungsinstitut zu verdanken. Die Nürnberger „Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung“ hatte 1995 2.500 Personen in Deutschland befragt und festgestellt: „Männer haben äußerst konservative Vorstellungen vom Leben der Frauen. Sie sind in ihrer Einstellung gegenüber den Frauen um eine Generation zurückgeblieben. Die Männer bis 34 Jahre sehen die Rolle der Frau genauso, wie es ihre Mütter tun.“ Deutlich mehr Frauen reichen die Scheidung ein und machen sich beruflich selbständig.
Weibliche Erfolge aber sind schwierig auszumachen, weil sich Männer unsere Ergebnisse wie selbstverständlich unter den Nagel reißen. Jüngstes Beispiel: die flexible Arbeitszeitgestaltung. Es waren Frauen, die von Arbeitgebern und KollegInnen flexible Arbeitszeitmodelle einforderten, durchsetzten und sich dafür diffamieren lassen mußten. Es waren Frauen, die als Wissenschaftlerinnen und Unternehmensberaterinnen diesen Prozeß forcierten. Jetzt sind es Männer, die als Referenten oder Wissenschaftler beim Thema „Arbeitszeitgestaltung“ als maßgeblich gelten.
Wenn Frauen oder frauenfördernde Unternehmen stolz von Erfolgen berichten können, werden sie oft öffentlich dafür abgekanzelt, weil die Ergebnisse von außen als zu popelig erscheinen. Aber auch hinter der kleinsten Veränderung verbirgt sich viel Beharrlichkeit. Nicht, daß wir mit bescheidenen Ergebnissen zufrieden sein sollen. Aber wir sollten Ergebnisse, auf die wir aufbauen können, auch als solche anerkennen.
Wenn etwa eine Managerin die Zuständigkeit für Kasachstan erhält, mag das für viele eine harmlose Aufstiegsmeldung sein. Ich betrachte dies als revolutionären Schritt. Wer in Kasachstan Geschäfte machen will, muß gemeinhin sehr trinkfest sein. Gibt mann einer Frau hierfür die Zuständigkeit, traut mann ihr zu, auf ihr gemäßen Wegen Aufträge zu akquirieren. Oder wenn eine Großbank eine Spitzenmanagerin ins Milliardenkreditgeschäft nach Luxemburg schickt, wie soll diese Frau mögliche Geschäftspartner bei Laune halten? Sie wird vermutlich nicht in einen Golf-Club eintreten, sich zu keinen Sauftouren verabreden und auch keine Edelprostituierten finanzieren. Folglich muß ihr die Bank eigene erfolgreiche Akquise-Methoden zutrauen.
Ein Veränderungsprozeß ist nie eine schnurgerade Linie, sondern besteht aus Widerständen und parallelen Phänomenen, die gleichzeitig fortschrittlich und rückschrittlich sind: Weltweit sind immer mehr Frauen erwerbstätig, gleichzeitig wächst die weibliche Armut.
Viele Frauen kennen von sich selbst diese parallelen Phänomene. Claudia Schiffer vermarktet sich als eine unabhängige, versierte, erfolgreiche Geschäftsfrau auf von ihr produzierten Kalendern – als Pin-up-Girl. Die Harvard-Professorin Mary Ann Glendon bezeichnet sich selbst als Feministin und ist die erste Frau, die bei der Weltfrauenkonferenz die Verhandlungsdelegation des männerbündischem Vatikans anführte.
Kontrovers und hochemotional wird die Diskussion um Quoten geführt. Europäische Frauen sind weit entfernt von der souveränen Haltung erfolgreicher Amerikanerinnen: „Ich bin ein Kind der ,affirmative action‘ und stolz darauf.“
Ich behaupte: Jede Frau in einer „Männerdomäne“ löst einen wichtigen Impuls in der gesamten Organisation aus, sogar dann, wenn sie sich explizit gegen „Emanzen“ und Quoten ausspricht. Sie hat Vorbildfunktion.
Ich behaupte weiter: Wann immer Frauen in Führungspositionen und in den „Männerdomänen“ der technischen Berufe tätig sind, wachsen die Arbeitszufriedenheit, die Kreativität und der wirtschaftliche Erfolg. Ich gebe zu, diese letzten Worte klingen ein bißchen sehr utopisch. Aber: In Unternehmen, die sich um Chancengerechtigkeit bemühen, spüren Frauen die ansteckende Begeisterung der Veränderung. Dies berichten Mitarbeiterinnen der kanadischen Bank of Montreal, der Schweizerischen Kreditanstalt, der US-amerikanischen Motorola und der Wilhelm Weber GmbH aus Pfüngstadt.
Bei Ganett, der größten US- Zeitungskette, ist der Anteil weiblicher Spitzenführungskräfte von 20,5 im Jahre 1980 auf 37 Prozent im Jahre 1994 gestiegen. Bei der Bank of Montreal stieg der Anteil innerhalb von sieben Jahren von 6 auf 22 Prozent. Das Geheimnis: Beide Unternehmen gewährten ihren ManagerInnen Bonusleistungen, wenn diese erfolgreich Frauen förderten. Gleichzeitig stieg die Arbeitszufriedenheit dort signifikant: Deutlich mehr Beschäftigte empfanden das Arbeitsklima als gerecht. Diese Aussage trafen 1990 nur 44 Prozent, 1994 waren es 74.
Managementberaterinnen zeigten über Jahre hinweg auf, daß Frauen für Führungspositionen geeignet sind. Das erscheint heute geradezu lächerlich: Mehrere internationale Forschungsergebnisse haben den Beweis erbracht, daß Frauen nicht nur anders, sondern besser führen. Personalentwickler wie Klaus Doppler und Christoph Lauterberg: „Wo immer Frauen sind, wird das Klima offener, die Diskussionen lebendiger, in komplexen Problemsituationen kommt man schneller zum Kern der Sache – was nicht angenehm ist, aber effizient.“
Bei der Lektüre dieser Sätze fällt sicher jeder und jedem eine „furchtbare Chefin“ ein, die diesem Untersuchungsergebnis überhaupt nicht zu entsprechen scheint. Denn der Blick auf Frauen ist gnadenlos. Bei Männern ist es selbstverständlich, daß sie in Führungspositionen vertreten sind, der eine kompetent, der andere weniger, dort wird nicht der einzelne sogleich vorgeführt.
Frauen haben hohe sprachliche Kompetenz
Führungsaufgaben werden hauptsächlich durch Sprache ausgeübt. Dabei zeigen Frauen außergewöhnlich hohe linguistische Kompetenz: Sie ermutigen andere, sie lassen andere an Macht und Information teilhaben, sie können andere beigeistern und dadurch deren Potential aktivieren. So sollen Führungskräfte sein – und so wären Männer gerne. Frauen sind auch besser, wenn die bislang dem Mann zugeschriebenen traditionellen Führungsqualitäten erforderlich sind: Entschlußkraft, Planung, die Fähigkeit, Veränderungen herbeizuführen. In der umfassenden Studie des US-amerikanischen Beratungsunternehmens Pfaff wurden über 14 Monate hinweg Befragungen in 211 Organisationen durchgeführt. Dort lautete das übereinstimmende Urteil von MitarbeiterInnen, von Vorgesetzen und die Selbsteinschätzung von Managerinnen: Egal welche Managementfähigkeit betrachtet wird, Frauen erhalten die besseren Werte. Sie sind eindeutig die Erfolgreicheren.
Auch ihr finanzieller Erfolg ist deutlich höher. Das bestätigt die Umfrage des französischen Wirtschaftsmagazins L'entreprise, die 1996 in 22.000 Unternehmen durchgeführt wurde. Danach erwirtschafteten Frauen im Durchschnitt dreimal soviel wie ihre männlichen Kollegen. Doppelt so hoch lag die weibliche Rendite bei den Unternehmen mit über 500 Millionen Franc Jahresumsatz. Das Fazit kurzgefaßt: Frauen können führen, ein gutes Betriebsklima herstellen und schaffen auch das nötige Geld ran.
Gerade in Deutschland fühlen sich viele Top-Managerinnen noch allein in ihren Positionen. Ihr Verhalten schwankt zwischen „Anpassung und Konfrontation“ (Dorothea Geissler). Dem Arbeitsethos der Männer bringen sie große Distanz entgegen. Rosalind Coward hat dieses Gefühl „Zweigeteiltheit“ genannt: „Selbst eingeschworene Karrierefrauen schienen sich vom Arbeitsethos ihres Betriebs distanzieren zu können, es nicht ernst zu nehmen. Doch gleichzeitig waren sie deprimiert, weil sie in demselben Milieu nicht soviel Erfolg hatten.“
Aber die Forschungsergebnisse von Martina Morschhäuser über Facharbeiterinnen zeigen, wie sich das männlich geprägte Arbeitsklima so verändert, daß sich Frauen wohl fühlen. Auch gibt es bereits einzelne Unternehmen, die bewußt gemischte Teams bilden. So die Bayer AG, die Schweizerische Kreditanstalt oder die schwedische Fluggesellschaft Linjeflug.
Noch einmal in voller Lautstärke: Wir haben viel erreicht, sind mitten in revolutionären Veränderungen. Es muß endlich Schluß damit sein, daß unsere Errungenschaften abgetan oder banalisiert werden. Es wäre vermessen, anmaßend oder, wie Prof. Jutta Limbach sagt, undankbar gegenüber den früheren Frauengenerationen, nicht die Entwicklungen der Stellung der Frau in der Gesellschaft zu sehen. Wenn wir unsere Erfolge und Ergebnisse nicht anerkennen, werten wir selber unsere Anstrengungen, unsere Arbeit und unser Engagement ab. Das kann keine Frau wirklich wollen. Gerade sehr engagierte Frauen gucken lieber auf das, was vor ihnen liegt, aber der Blick auf das Erreichte lohnt sich.
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