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Ferien bei uns Von Carsten Otte

Deutschlands Frühstückspensionen sind von gleichbleibender Qualität. Das hat den Vorteil, daß man selten eine böse Überraschung erlebt; man erwartet gutbürgerliche Gemütlichkeit, und die Tapeten mit Blumenmotiv, die hellblauen Kacheln im Bad, das Neue Testament im Nachtschränkchen, die rosa Wolldecke auf dem Bette und ein schmuckes Bild an der Wand werden meist auch geboten. Ist man im Schwarzwald, gehört das Südseeplakat zum Inventar, übernachtet man an der Ostseeküste, blickt man zumeist auf einen Waldbewohner: sehr häufig ein Vogel, manchmal eine Wildsau.

Stets erklärt die Wirtin dem Gast mit strenger Miene, daß das Frühstück bis spätestens um halb zehn einzunehmen sei und daß man das Fremdenzimmer am Tag der Abreise bis spätestens um zwölf Uhr zu räumen habe. Gern quält man sich mitten in der Nacht aus dem Bett, denn das Frühstück bietet weitere Attraktionen. Mit den Fragen nach dem Frühstücksei (weich oder hart?) und nach dem Frühstücksgetränk (Kaffee, Tee oder gar eine heiße Schokolade?) beginnt der Morgen. Nachdem man sich Butter und Erdbeerkonfitüre auf das frische Brötchen geschmiert hat, wirft man das kleine Marmeladen-Schälchen in einen Tischmülleimer, auf dem Für einen sauberen Tisch geschrieben steht. Die Tischnachbarn, meist ein paar Jahrzehnte älter, nicken und grinsen, wenn sich ein Heranwachsender benimmt.

Ein Ort mit ausgesprochen vielen Frühstückspensionen ist Meersburg am Bodensee, was nicht gerade verwundert, gibt es in Meersburg immerhin recht stattliche Sehenswürdigkeiten: zum Beispiel das bedeutende Alte Schloß, das, weil es so bedeutend ist, sogar auf dem Zwanzigmarkschein abgebildet ist. Manche Leser wissen möglicherweise, daß es sich hierbei um jenes Gebäude handelt, in dem Deutschlands berühmteste Dichterin gewohnt und gedichtet hat. Daß Annette von Droste-Hülshoff Deutschlands berühmteste Dichterin gewesen ist, lesen Touristen wie ich auf dem Droste-Hülshoff- Denkmal, das vor besagtem Schloß aufgestellt ist. Wer glaubt, in der Wohnstube der Dichterfürstin interessante Gegenstände zu sehen, wird nicht enttäuscht: Rüstungen und mittelalterliche Mordinstrumente sind dort ausgestellt, und endlich versteht man, warum beispielsweise die Ballade „Der Spiritus familiaris des Roßtäuschers“ entstand. – Oder auch nicht. Nun, es gibt tatsächlich Leute, die mit dem Fontane in der Hand durch die Mark Brandenburg stapfen, und selbstverständlich trifft man in Meersburg einen Haufen fröhlicher Oberstudienräte, die dem Geist der Droste- Hülshoff auf der Spur sind.

Im Meersburger Restaurant Seeblick wurde wichtigtuerisch über „Das Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard“ gesprochen: Herr und Frau Kirsch, die im Restaurant Seeblick neben mir saßen, unterhielten sich gar über die sinnerfüllten Zeiten, welche die Droste- Hülshoff genoß, und welche sie, die Eheleute Kirsch, heute nicht mehr erleben dürfen. Drei oder vier Schoppen Müller-Thurgau machten mich schließlich zum Primaten, und während die Eheleute Kirsch endlich über „Des Arztes Vermächtnis“ schwadronierten, sang ich, der ich nicht singen kann, mit voller Kraft „Ein feste Burg ist unser Gott“. Am Tisch nebenan wurde dann nur noch geschwiegen.

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