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Der Rächer der Entnervten

■ Jim Avignons Künstler-Phantom und Computercomic-Collagen

Geboren möchte er „irgendwo“sein, seine Angaben über das Geburtsdatum schwanken zwischen 1961 und 1965, und daß sein (Künstler-?)Name Jim Avignon ist, hält er selbst „für eine kitschige Teenagergeschichte aus der Zeit, als ich 18 war“. Aber wann war das? Und wo? Am Donnerstag abend zumindest waren seine Arbeiten auf Zeitungs-, ja, sogar tageszeitungs-Papier in der Galerie 13, der kleinsten Galerie Hamburgs, zu sehen.

Daß wir dem Künstler begegnet sind, vermag keiner ernsthaft behaupten zu wollen. Ist das bei dem Titel der Ausstellung – European Nobodies – ein Wunder? Eher nicht, denn Avignons U-Kunst steht auch für eine „World Conspiracy Theory“, die sich nach einfachsten Kriterien bemißt: Mann, Frau, Bar, Getränk, Spiegel und Barkeeper. Und die waren zugegen, zumindest nach den bildnerischen Erzählungen.

Der in Berlin lebende Künstler möchte mit seinen am Computer erstellten, Comic-artigen Ausdrucksarbeiten überall dazwischen sein. Sogar im Europa der ECU-Gleich- und Ausschaltung: „Kohl schlägt EU-Reform von hinten“, lautete eine taz-Überschrift vom 19. Juni, die bei Avignons Collagen zur Bildunterschrift wird.

Ein paar Tage aus dem zukünftigen Europa am Frühstückstisch. Mit Avignon, dem selbsternannten Rechner der Entnervten, und allen in Berlin zur Verfügung stehenden Tageszeitungen. Dieses Glück ist käuflich. Persiflage auf das Zeitalter der allgemeinen und grundsätzlichen Prostitution.

Wer ist heute eigentlich wessen Zuhälter? „You think there are still some things money can't buy?“ist auf einem der preiswerten Auflagenobjekte zu lesen. Gehirn, Gesundheit, Liebe und Zeit zumindest nicht. Die braucht man, u.a. um sich die Arbeiten des janusköpfigen Tief- und Volkskunst-Papstes Avignon genauer anzuschauen. Danach kann man getrost feststellen, daß Werbung, Fläche, Verdeckung, Politik und Ornament wie füreinander geschaffen sind – als Verbrecherbande und Börsenbericht.

In einer musikalischen DJ-Predigt aus der Kasperle-Bude heraus performte Jim Knopf, pardon, Avig-non dann gegen Mitternacht die Überleitung ins „Tollhaus“: Mit einäugig betrunkener Japanese-Lächel-Maske und Pappmaché-Flaschen groovte er aus der Taubenstraße über die Reeperbahn zur Café-Keese-Party. Bunt, absurd und mit Polizeieinsatz zum bestinszenierten Zeitpunkt – alle meinten, sie wären auf einer Party gelandet.

Ein dauernder Irrtum der mißverstandenen Spaßkultur. Es war tatsächlich eine Vernissage, und der Künstler soll anwesend gewesen sein. In the House.

Gunnar F. Gerlach

Galerie 13, Taubenstr. 13, Öffnungszeiten auf Anfrage.

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