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„Shabbat Shalom und Tschüssi“

■ Im Kindergarten der jüdischen Gemeinde in Bremen werden die Kids an alte jüdische Traditionen herangeführt/ Immer mehr jüdische Familien aus Rußland siedeln sich in der Hansestadt an: Die Gemeinde muß eine neue jüdische Identität entwickeln

habbat Shalom“, begrüßt die kleine Esther den Gast im Kindergarten der jüdischen Gemeinde Bremen. Der Raum im Gemeindehaus ist mit Kinderzeichnungen und Bastelarbeiten geschmückt, über einem Tisch hängen Papierwimpel der israelischen Flagge.

Zwölf Kinder quäsen, schubsen, toben und gibbern in verschiedenen Sprachen. Wer denn heute Shabbat-Papa würde, nörgelt Maxim und zerrt am Hosenbein von Leiterin Ulrike Großarth-Kuhn. „Na Du, wenn Du möchtest.“„Und wer ist Shabbat-Mama?“Maxim schaut sich skeptisch im Spielzimmer um.

Derweil richtet Erzieherin Lena Tulmann mit Stanislaw, Gregorij und Ana-Katherina das Frühstück. Heute gibts Nutella, Tee, Kakao und Saft. Bald schminken sich die ersten Mundwinkel schokoladenbraun. Sicherheitshalber bekommen die Kleinsten Lätzchen umgebunden. Ob es denn heute zum Shabbat auch Süßigkeiten gäbe? Maxim scheint ein Problem zu haben.

Seit Februar diesen Jahres kommen sieben Mädchen und fünf Jungen zwischen zwei und sechs Jahren in den Kindergarten im Gemeindehaus der jüdischen Gemeinde. Es ist der siebte überhaupt in der Bundesrepublik. Selbstverständlich war seine Einrichtung in Bremen nicht. „Wir hatten erst einige Diskussionen mit der Behörde, die nur einen Spielkreis zulassen wollte,“so Leiterin Ulrike Großarth- Kuhn. Der Kindergarten hätte einen stark religiösen Charakter, es gäbe in Bremen genügend Kindergartenplätze und überhaupt, man wolle kein neues Ghetto schaffen, argumentierte die Behörde. „Wir wollten von Anfang an eine Tagesbetreuung und selbstverständlich ziehen wir uns nicht in ein Schneckenhaus zurück“, sagt die Kindergartenleiterin. „Wir befinden uns in einem Spannungsfeld, indem wir erst einmal wichtige integrative Sozialarbeit leisten müssen.“

Seit 1990 hat sich die Zahl der Gemeindemitglieder von 150 auf zur Zeit über 800 erhöht. Damit ist Bremen noch eine der kleineren Stadtgemeinden, im Vergleich zu Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Hannover oder gar Berlin. Hier ist die größte jüdische Gemeinde Deutschlands mit fast 11.000 Mitgliedern. „Die deutschen jüdischen Gemeinden drohten zu verschwinden,“sagt die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Bremen, Esther Noah.

Nach einem Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz wurden auswanderungswillige jüdische Familien aus Rußland über die ganze Bundesrepublik verteilt. Die Kultur deutscher jüdischen Gemeinden befindet sich seitdem in einem rasanten Umbruch. „Wir müssen Nationalitäten aus der gesamten ehemaligen Sowjetunion integrieren. Als jüdische Gemeinde müssen wir eine neue jüdische Identität entwickeln,“umreißt Noah das Problem, mit dem alle deutschen Gemeinden konfrontiert sind. Sicher könnten die Emigranten auch nach Israel auswandern. Antisemitische und ausländerfeindliche Aktionen hätten auch viele jüdische Familien verunsichert.

„Einige saßen auf gepackten Koffern. Aber dann wollten doch die meisten in Deutschland einen Neuanfang versuchen“, sagt Ulrike Großarth-Kuhn. „Ich komme aus Berlin. Da konnten wir nur unter Polizeibewachung und hinter Stacheldraht mit den Kindern spielen. Dagegen ist Bremen Freiheit pur.“

„In vielen Familien, die aus dem Osten zu uns kommen, gibt es keine religiöse Tradition“, erklärt sie. Die alten jüdischen Lebensformen sind durch die Nazis ausgelöscht worden. Neue Formen haben sich nach 1945 nicht entwickelt. Sei es, daß die Ausübung der jüdischen Religion in den Sowjetrepubliken unterdrückt wurde, sei es, daß Familien ihren jüdischen Glauben unterdrückt haben oder ihn nicht ausüben wollten.

„Wir versuchen im Kindergarten die Kinder zumindest an die jüdischen Feiertage heranzuführen,“sagt die Erzieherin und das ist ganz schön schwierig. Untereinander sprechen die Kinder oft russisch, nur ein Kind besitzt eine andere Muttersprache. Erzieherinnen und Kinder sprechen deutsch miteinander, die Festtagsgebete werden hebräisch gesungen oder gesprochen.

Die Gemeinde würde gerne auch nicht-jüdische Kinder in den Kindergarten aufnehmen, denn die Erziehungsarbeit sei hier sowieso multikulturell ausgerichtet, meint die Erzieherin. „Wir sind hier in der Bremischen Gemeinde eher etwas konservativ orientiert, aber wir versuchen dies in den Ritualen für die Kinder abzumildern.“

Das bekommt Maxim zu spüren. Denn heute, bei der Begrüßungsfeier des Shabbat, ist Esther seine Shabbat-Mama. Und Esther läßt sich nicht so leicht unterbuttern. Im traditionellen Ritus zündet die Frau als Hüterin des Hauses die Kerzen an und segnet sie. Dem Mann als Familienoberhaupt bleibt es vorbehalten, den Haussegen zu sprechen, den Wein zu trinken und das Brot zu brechen. Aber gegen Esther hat Maxim keine Chance. Immer wieder funkt sie ihm selbstbewußt dazwischen. Für die Kinder ist die Vorbereitung auf den Shabbat ein Spiel, das sie mit aller Freude spielen. Am Ende gibts nämlich auch was Süßes.

Neben Maxim mit der traditionellen Kopfbedeckung, der Kippa, steht Esther mit einem Kopftuch. Der Shabbattisch ist würdig gedeckt und mit Blumen geschmückt. Zwei Kerzen symbolisieren die Arbeitswoche und den Shabbat. Die Menora, der siebenarmige Leuchter, würde mit jeder Kerze einen Tag leuchten lassen. Im Kiddusch, dem Silberbecher, ist Wein. Er ist für die Kinder auf Traubensaftniveau heruntergekeltert. Abgedeckt liegt das Challah, das Brot und Salz auf einem Teller. Und da steht die Schale mit den Süßigkeiten.

„Es ist gar nicht so einfach für uns, an koschere Lebensmittel zu kommen,“sagt Großarth-Kuhn. Zum Beispiel gibt es in Bremen keinen koscheren Fleischer. Fleisch müßte teuer aus Frankfurt eingeflogen werden. Also verzichtet man in der Gemeinde weitgehend darauf. Das Rabbinat gibt eine Liste heraus, welche Lebensmittel überhaupt benutzt werden dürfen. „Wir sind behutsam,“sagt die Erzieherin. Denn zu Hause, das weiß sie, essen die Kinder auch nicht-koschere Sachen.

Jetzt singen die Kinder das Lecha dodi, das Begrüßungslied für den Shabbat. Maxim und Esther sprechen gemeinsam den Segen und Esther ist kaum zu bremsen, Maxim den Becher an den Mund zu führen. Danach werden an alle kleine Trinkbecher weitergereicht. Le chaim – ein Prost für alle. Mama und Papa salzen unter dem Jubel der anderen das Brot. „Nicht so viel, nicht so viel.“Sie brechen und verteilen es. Jetzt beginnt eigentlich der Shabbat. Normalerweise würde nun in der Familie üppig gegessen, gesungen, vielleicht getanzt – gefeiert eben.

Jedes Kind darf sich ein Shabbatlied wünschen. Shabbat Shalom Maxim und Esther. Shabbat Shalom wir alle. Shabbat Shalom unser Kindergarten. Shabbat Shalom die ganze Welt. Shabbat Shalom Israel. Die Erzieherinnen lesen eine Geschichte vor. Dann geht es wie in jedem anderen Kindergarten auf der Welt zu: In den Räumen ist Remmidemmi. Aus dem Getümmel ruft jemand: „Tschüssi Shalom, du.“

Thomas Schumacher

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