"Wir brauchen Beschwerden"

■ Wenn das Regal wieder hakt und klemmt, ruhen alle Hoffnungen auf ihr: der Gebrauchsanleitung. Doch meist ist sie nur zum Schwarzärgern. Wieso eigentlich? Ein Gespräch mit einem Anleitungsschreiber

Eigentlich prima: die fünfstrahlige Deckenleuchte mit doppelter Wippschwinge und die supervariablen Regalsysteme mit klappbarem Schreibtisch und integrierter Sparlampe. Doch die schicke Kompliziertheit hat einen Haken. Der individuelle Wohnraummodernisierer ist auf ein ungeliebtes Anhängsel angewiesen: die Gebrauchsanweisung. Egal ob für den Schrankaufbau oder die Installation des Heim-PC, Anleitungen begleiten die Menschen durch den Alltag. Und der Frust wandert häufig mit. Verantwortlich dafür sind auch die technischen Redakteure, jene Mittler zwischen Erfindern und Nutzern von Produkten. Michael Rust, Projektmanager Dokumentation bei der Siemens Nixdorf AG, erklärt sich und die Nöte seiner Kollegen.

taz: Haben Sie sich schon mal über eine Gebrauchsanleitung geärgert?

Michael Rust: Natürlich, da mache ich die gleichen Erfahrungen wie alle Verbraucher.

Und dann fluchen Sie auf den Kollegen, der das verzapft hat?

Na ja, eigentlich merke ich dann immer richtig, daß man als Kunde gar keine Lust hat, solche Anleitungen zu lesen – ob die nun gut oder schlecht sind.

Kommt man auf diesen Beruf aus dem üblichen Frust, wenn man zu Hause zum x-tenmal ein Regal falsch zusammengebaut hat?

Eigentlich wollte ich, wie viele meiner Kollegen, Lehrer werden, aber wegen der schlechten Aussichten sattelte ich vor zehn Jahren um. Weil es noch nicht lange eine richtige Ausbildung zum technischen Redakteur gibt, arbeiten in unserer Branche etliche Quereinsteiger, vor allem arbeitslose Geisteswissenschaftler.

Sind die besonders geeignet für die Verbraucherlehre?

Ich glaube schon, weil das Wesentliche an unserer Arbeit nun mal die Vermittlung von Dingen ist. Technisch muß man sich natürlich einarbeiten. Und man muß sich in den Kunden hineinversetzen können, um ihm vernünftige kleine Info-Häppchen anzubieten. Allgemein geht der Trend zu Multimedia-Anleitungen, mit Videosequenzen, kleinen Filmen. Das gilt zwar mehr für den gewerblichen Bereich, aber der Normalverbraucher merkt das auch schon. Die Anleitung für einen Videorekorder zum Beispiel ist inzwischen ins Produkt integriert, das System stellt sich automatisch selber ein.

Werden Gebrauchsanleitungen auch reklamiert?

Wir haben schon mal Beschwerden von Kunden bekommen. Einige habe ich deshalb mal konkret nach der Anleitung befragt, doch meist haben sie nur eine sehr diffuse Meinung. Als technischer Redakteur wünschte ich mir mehr Beschwerden, weil das auch die Wichtigkeit unserer Arbeit unterstreichen würde.

Fühlen Sie sich denn als Prügelknabe?

Salopp gesagt, sind wir in der blöden Situation, beschreiben zu müssen, was andere Leute sich ausgedacht haben. Wir sind darauf angewiesen, von denen die richtigen Informationen zu bekommen. Das ist machmal gar nicht so leicht.

Wird die Rolle der Gebrauchsanleitung für den Erfolg des Produkts unterschätzt?

Das würde ich schon sagen. Daß die Produktentwicklung Geld kostet, ist jedem klar. Beim Geld für die Gebrauchsanweisung beginnt die Diskussion. Aus Kundensicht spielt die ja auch selten eine Rolle, nämlich nur bei negativen Erlebnissen. Oder haben Sie schon mal ein Produkt wegen der schöneren Gebrauchsanleitung gekauft?

Nein, aber es hätte mir schon manche Verzweiflung erspart.

Sehen Sie, eine schlechte Anleitung ärgert die Leute, eine gute empfinden sie als selbstverständlich. So soll es auch sein.

Was würden Sie ändern, wenn Sie mehr zu sagen hätten?

Generell finde ich, daß die Verfasser von Gebrauchsanleitungen in die Entscheidungsprozesse über Gestaltung und Funktionalität der Produkte einbezogen werden sollten. Manchmal ist weniger mehr, beim Erzeugnis wie bei der Anleitung. Ein modernes Telefon zum Beispiel kann unheimlich viel und hat dadurch 150 Seiten Bedienungsanleitung. Darin suche ich dann ewig nach den zehn Prozent Funktionen, die ich brauche. Da müßten Firmen den Mut haben, zu sagen: Wir beschränken uns auf die 20 Prozent Funktionen, die für 95 Prozent der Kunden ausreichen.

Testen Sie Ihre Anleitungen selbst?

Nicht unbedingt jede, aber die für ganz neue Produkte immer. Wir haben auch schon die Inbetriebnahme von Geräten beim TÜV simulieren lassen und dessen Erfahrungen berücksichtigt. Das macht aber jede Firma, wie sie will. Interview: Gunnar Leue