: Ein Wasserkopf für die Zukunft
■ In Mitte investieren nicht bloß Galerien in den Neubeginn. Auch institutionell ballt sich alles in dem zukünftigen Regierungsbezirk zusammen – Kiezkultur hat das Nachsehen
Auf einmal paßte alles wunderbar zusammen. Im vergangenen September wurde die Sammlung des Kunsthändlers und Picasso- Freunds Heinz Berggruen im Stüler-Bau des Schloß Charlottenburg eröffnet, knapp zwei Monate später zog die Sammlung des Immobilienunternehmers Erich Marx in den frischrenovierten Hamburger Bahnhof und die Nationalgalerie ein; und am Abend zuvor gab es das erste „European Art Forum“ in den Messehallen rund um den Funkturm. Die Kunst des 20. Jahrhunderts – modern, zeitgenössisch, jung, wild und aktuell – war endlich in Berlin angekommen.
Die Auflistung liest sich wie ein Kurzabriß zur „Highlight“-Kultur, von der Senator Peter Radunski so gerne schwärmt. Doch in der Euphorie erscheinen die Reisewege zur Kunst ein wenig unscharf. Tatsächlich wird Berlin seit Jahrzehnten eher schon wegen seiner Museen als um der Berliner Luft willen besucht. Das war bereits vor der Wiedervereinigung so – in Ost wie West. Plakate der 70er Jahre machten mit dem Kopf der Nofretete oder eben dem Pergamonaltar Werbung, Christos Joachimides war im Martin-Gropius-Bau mit seiner Zeitgeistgesellschaft lange vor dem Mauerfall aktiv, und Wulf Herzogenraths kenntnisreiche Ausstellungen zu Video-Art galten Mitte der achtziger Jahre als Muß für Kunstbegeisterte.
Denkt man zudem an die früheren Aktivitäten von Sammlern und Galeristen wie René Block oder Michael Wewerka, sieht es eher so aus, als wäre zum Neubeginn nicht bloß die Stadt kulturell und museal vereint, sondern gleich das ganze Inventar mit ausgewechselt worden. Dabei versäumt Berlin ein zweites Mal wichtige Kunstströmungen: Nachdem Mike Steiner mit seiner hervorragenden Videosammlung schon in den achtziger Jahren ein Schattendasein fristete, ist auch in der neuen Konzeption keine konkrete Förderung von Videokunst geplant – obwohl sich Sony am Potsdamer Platz engagiert, zeigt der Konzern wenig Interesse für Künstler, die mit Medien arbeiten. Erst vor kurzem sprang Sony als Sponsor für eine Großbildleinwand ab, die gegenüber vom Schloßplatz installiert werden sollte.
Ein anderes Problem liegt in der Konzentration: Während in Mitte der Neue Berliner Kunstverein und die Kunst-Werke zu modernen Kunstzentren umgebaut werden, spart der Senat bei den Geldern für die dezentrale Kulturarbeit. Die Kunstämter in Schöneberg, Neukölln oder Kreuzberg jedenfalls bekommen den Wandel jetzt schon zu spüren. Das Künstlerhaus Bethanien müßte ohne Sponsoren sein Atelierprogramm einstellen, das Haus am Kleistpark arbeitet für seine Ausstellungen mit einem verschwindend geringen Budget. Mit dem Zusammenschrumpfen der Institutionen verlieren die Bezirke natürlich auch an Attraktivität fürs Publikum, also bleiben auch die Besucher für ein Galerienumfeld aus. Ein Teufelskreis.
Der Galerienboom in Mitte besagt zwar etwas über die Sehnsucht nach einem verbindlichen Kunststandort, der wie New Yorks SoHo-Viertel funktionieren könnte. Aber auch die US-Kunstmetropole ist ja nicht allein durch den gezielten Handel entstanden, sondern durch eine grundlegende Toleranz für künstlerische Ideen von abstraktem Expressionismus bis Pop-art – ohne Warhol keine Factory. Entsprechend läßt sich auch in Berlin der kulturelle Output nicht von den ansässigen KünstlerInnen trennen, die sich mit dem Ort identifizieren. Paradoxerweise verdrängt die kulturelle Aufforstung an der Auguststraße oder in den Hackeschen Höfen derzeit gerade jenes Umfeld, das künstlerische Aktivitäten hervorbringt. Wenn sich Ateliers nicht mehr bezahlen lassen, wird auch der Handel die Abwanderung seiner kreativen Ressourcen zu spüren bekommen. Dann wird man das Angebot an Bildern und Skulpturen vielleicht erneut aus Moskau, New York oder Köln importieren müssen – wie schon in all den Jahren zuvor. Harald Fricke
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