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Das Ende von Boris' Welt

Mit dem endgültigen Abschied eines chancenlosen Tennisveteranen gegen den fehlerlosen Sampras hat Wimbledon den Höhepunkt schon hinter sich  ■ Aus London Herr Hefele

Hend of my world. Die schon zwanghafte Lust der britischen Schreiberzunft an Namensverballhornungen hält weiter an. „Hend of my world“ bezieht sich natürlich auf die Dreisatzniederlage Tim Henmans gegen Michael Stich. Eigentlich hätte die Headline des Mirror heißen müssen: Hend of Wimbledon. Für die Fans auf der Insel ist das Londoner Turnier abgehakt. Alle Spieler, an denen aus verschiedenen Gründen ihr Herz hing, haben sich am Donnerstag verabschiedet. Der wilde Kanada- Import Greg Rusedski, everybody's darling Henman – und Boris Becker, eine Wimbledon-Institution seit zwölf Jahren.

Beim Stande von 5:3 für Pete Sampras im vierten Satz rief eine Zuschauerin auf den Platz: „Boris! We still believe in you!“ Nachdem Henmans Niederlage ziemlich früh feststand, war Becker für viele im Publikum die letzte verbliebene Hoffnung auf so etwas wie ein charismatisches Zentrum des Turniers. Jemand, der zumindest zur tragischen Figur taugt. Woodbridge? Pioline? Das ist so aufregend wie ein Regentag auf der Pressetribüne.

Selbst Pete Sampras, dessen Erfolge jederman parat haben dürfte, gibt nicht viel her. Dazu ist er zu effizient, zu emotionslos. Wie abgeklärt Sampras selbst in für ihn kritischen Stiuationen reagiert, wie kühl er auf seine Chance wartet, verdient zweifellos von der Warte des Professionals aus höchste Anerkennung. Für die Fans ist es nicht schön, jemandem zuzusehen, der keine Fehler macht. Der immer kontrolliert und nüchtern seinen Job tut. Sampras ist ein hochqualifizierter Tennisarbeiter, der nach jedem Ballwechsel seine Hosenbeine richtet.

Fast wartet man darauf, daß er nach dem Spiel Bälle und Schläger in eine Aktenmappe packt und zur U-Bahn geht. Trotzdem ist er ohne jeden Zweifel der momentan absolut beste Spieler der Welt. Keine Chance für Boris Becker. In dessen Viertelfinale ging es nicht mehr um feine Nuancen, um etwas mehr Glück auf der einen oder anderen Seite — das war ein nicht mehr wegzudiskutierender Klassenunterschied. Daran gibt es nichts mehr zu arbeiten, das kann Becker nur akzeptieren. Was er auch tat, indem er nach dem Spiel seinen endgültigen Abschied von Wimbledon bekanntgab: „Ich weiß“, sagte er, „daß ich nicht mehr genug drauf habe, um ein Grand Slam- Turnier, das über zwei Wochen geht, zu gewinnen.“

Wo er recht hat, hat er recht. Und er hat wieder einmal sein Gefühl für Dramatik bewiesen; seine Fähigkeit, den richtigen Akzent im rechten Augenblick zu setzen.

Armer Michael Stich. Der gibt seinen bevorstehenden Abschied schon lange vorher bekannt. Der spielt ein makelloses Turnier, sein bestes Tennis seit langem. Erreicht das Halbfinale, indem er den local hero Henman geradezu vom Platz fegt – und taucht doch nur als bessere Randnotiz auf. Das Highlight des Viertelfinales, wenn nicht gar die Topmeldung von Wimbledon '97, Abteilung Männer, ist der Abschied des Alt-Champions: Advantage Becker!

Ein Tip: Es wird auch noch Frauentennis gespielt. Von Jana Novotna zum Beispiel, deren Rocklänge noch nie Thema war. Seit zehn Jahren ist sie fester Bestandteil der ATP-Szene, ohne jemals einen ganz großen Titel zu gewinnen. Unvergessen das 93er Wimbledon-Finale gegen Steffi Graf, in dem die emotionale Novotna ein Opfer ihrer Nerven wurde; immer schon das Problem der hochveranlagten Serve-und- Volley-Spezialistin aus Tschechien. Heute (15 Uhr, RTL, live) wartet die Nummer eins der Welt, Martina Hingis, in der Slowakei geboren. Das genau Gegenteil zu Jana Novotna. Sehr jung, sehr nervenstark, sehr erfolgreich. Ihre Stärke ist das druckvolle Spiel von der Grundlinie. Wenn sie damit Novotna vom Netz weghalten kann, wird sie gewinnen. Doch Vorsicht: Hingis haßt Rasen.

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