: Streit um Italiens neue Verfassung
■ Der anfängliche Konsens der Parteien bröckelt. Kritiker befürchten eine erneute Zementierung der Parteienherrschaft
Rom (taz) – Noch Anfang Juli, nach der Schlußabstimmung in der Kommission zur Reform der italienischen Verfassung, hatten sich die neuen „Väter des Vaterlandes“ auf die Schulter geklopft: Ein ausgewogenes, vom breitestmöglichen Konsens getragenes Stück sei die neue Konstitution. Das Präsidialsystem werde dem Lande Stabilität verschaffen, neue Bürgerrechtsgarantien die vielen Unsicherheiten ausschalten. Massimo D'Alema, Chef der regierenden Linksdemokraten, Oppositionsführer Berlusconi und die vordem sehr skeptischen Rechtsaußen von der Nationalen Allianz versicherten ständig, daß „Besseres nicht habe herauskommen können“.
Doch nun herrscht Katzenjammer: Mit einem knappen Satz liquidierte Antonio Di Pietro, vordem Chefankläger in den berühmten Korruptionsprozessen „Saubere Hände“, Mitte der Woche das Werk der Verfassungskommission: „Ich hoffe, das Volk wird dieses Machwerk bei der Volksabstimmung hinwegfegen.“ Für Di Pietro, an sich ein Verfechter des Präsidialsystems, ist die nun ausgearbeitete Konstitution nichts anderes als die „Wiederherstellung und Zementierung“ der Parteienherrschaft. Und damit hat er auch nach Ansicht zahlreicher Verfassungsrechtler völlig recht. Viel von dem, was die Kommission in das neue Verfassungswerk eingefügt hat, dient nur einem: dem Volk die so großartig berufene Direktwahl des Staatschefs – der die Außen- und Verteidigungspolitik bestimmt und das Parlament auflösen kann – wieder zu entwinden. Denn die Bürger können sich keineswegs ihren künftigen Präsidenten selbst aussuchen: zur Kandidatur zugelassen wird nur, wer eine bestimmte Anzahl Unterschriften von Senatoren, Deputierten, Europa- oder Regionalabgeordneten oder Bürgermeistern vorlegen kann – von eng an die Parteien gebundenen Personen also. Viele Beobachter sehen darin auch den Versuch, den parteilosen Di Pietro außen vor zu halten: den nämlich wünschen sich fast zwei Drittel der Italiener zum Präsidenten.
Doch Di Pietro ist nicht der einzige, der Widerstand angekündigt hat. Mit ihm kämpft auch Mario Segni gegen das Werk: der Leiter des ehemaligen „Reformpaktes“, der mit Hilfe von Volksentscheiden das alte Wahlsystem ausgehebelt hatte, will einen eigenen Entwurf zur Abstimmung vorlegen. Und ebenso entschieden lehnen auch die Neokommunisten das Elaborat ab, allerdings aus anderen Gründen: ihnen paßt die ganze Herumfummelei an der Verfassung nicht. Für sie ist die geltende Konstitution von 1948, die auf dem Bürgerkonsens des Widerstands gegen Faschismus und Nazismus beruhte, noch immer viel besser als das, was sich die Kommissionsmitglieder ausgedacht haben.
Und auch in der politischen Mitte rührt sich Ablehnung: Viele Vertreter der kleineren Gruppen fürchten, vom Zwang zur Polarisierung zerrieben zu werden. Sie wollen nur zustimmen, wenn das Parlament ein Wahlsystem zu ihrem Schutz beschließt. Bis die Bürger zur Urne gehen können, werden wohl noch mindestens zwei Jahre vergehen: Zuerst müssen die beiden Häuser des Parlaments in zwei mindestens drei Monate voneinander entfernt liegenden Lesunden den Text billigen. Erst danach wird die Volksbefragung angesetzt. Werner Raith
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